Die Gerontopsychiatrie ist ein Fachgebiet, das sich auf die Betreuung älterer Menschen spezialisiert hat. Gerontopsychiater*innen unterstützen Seniorinnen und Senioren bei der Bewältigung schwieriger Lebensphasen, psychischer Belastungen oder Erkrankungen – zum Beispiel bei Gedächtnisproblemen, Ängsten, Depressionen und anderen seelischen Herausforderungen. Auch Angehörige finden hier Rat und Unterstützung.
Viele Ratgeber für seelische Gesundheit bringen ernste oder humorvolle Vorschläge zur Selbsthilfe, die durchaus hilfreich sein können, solange man selbst im Stande ist sie umzusetzen. Doch was, wenn Verhaltensweisen nicht mehr kontrollierbar sind und für Betroffene sowie Angehörige täglichen Leidensdruck erzeugen? Schlafstörungen halten einen nachts wach, während man ziellos durch die Kanäle zappt und keine Ruhe findet. Sorgen „schlagen auf den Magen“ und dämpfen den Appetit. Selbst Kleinigkeiten führen dann zu Wut, Verzweiflung oder Resignation.
Natürlich versucht man zunächst, alles selbst in den Griff zu bekommen. Anfangs helfen Hausmittel vielleicht ein wenig, dann aber nicht mehr. Alkohol scheint möglicherweise eine Lösung, da er innere Spannungen reduziert und das Einschlafen erleichtert. Doch die Probleme bleiben bestehen. Vielleicht ist auch der Blutdruck ein Grund für die schlaflosen Nächte, weil er abends höher ist, als man es gewohnt ist.
Der erste Weg führt meist zur Hausärztin oder zum Hausarzt, und spätestens dann beginnt man, den Blutdruck regelmäßig zu kontrollieren. Wenn die Werte tatsächlich zu hoch sind, erhält man ein blutdrucksenkendes Mittel, und der Erfolg zeigt sich: Der Blutdruck sinkt. Doch – und hier kommt das große Aber – der Appetit kehrt dadurch nicht zurück, die Stimmung bleibt gedrückt, und an gesunden Schlaf ist weiterhin nicht zu denken. Grübelnde Gedanken, Ärgernisse und Konflikte mit Familie, Freund*innen und Nachbarn über Dinge, die früher kaum eine Rolle spielten, bleiben bestehen. Alles erscheint plötzlich anstrengend, sogar der Kontakt zu den geliebten Enkelkindern, und am liebsten würde man den ganzen Tag im Bett verbringen und niemanden mehr sehen. Ja, selbst der Gedanke, am nächsten Morgen vielleicht gar nicht mehr aufzuwachen, erscheint und fühlt sich in Momenten sogar erleichternd an.
Man traut sich nicht, darüber zu reden – man möchte die Lieben nicht belasten. Außerdem hat man Angst, dass solche Gedanken als „verrückt“ angesehen werden, wo doch nach außen hin „alles in Ordnung ist“. Doch die Vergesslichkeit nimmt zu, und selbst einfache Dinge, wie der morgige Friseurtermin, geraten plötzlich in Vergessenheit. Sofort kommt die Sorge auf: Ist das etwa diese gefürchtete Demenz, von der man so viel gehört hat? Vor kurzem lief doch ein Film darüber im Fernsehen... wie hieß er noch? – Ach ja, „Honig im Kopf“. So möchte man auf keinen Fall enden. Aber mit wem kann man über solche Ängste sprechen? Wer könnte da helfen?
Beim letzten Arztbesuch wird dann etwas von einem „Spezialisten für Altersmedizin“ erwähnt – ein*e Gerontopsychiater*in – und eine Überweisung ausgestellt, ähnlich wie zur Untersuchung beim Internisten fürs Herz, beim Orthopäden für die Hammerzehe oder beim Radiologen fürs Lungenröntgen.
Gerontopsychiater*innen sind speziell ausgebildete Mediziner mit viel Wissen im Bereich der Seelenheilkunde bei Menschen über 65. Sie kennen sich bestens mit der Wirkung von Medikamenten und deren Wechselwirkungen aus. Das Fachgebiet umfasst besonders die im Alter häufig vorkommenden psychischen Erkrankungen – denn da gibt es einige bedeutsame Unterschiede.
Der Anruf zur Terminvereinbarung kostete viel Überwindung, und ohne ein bisschen „Nachhilfe“ durch die Kinder hätte man wohl noch länger gewartet. Die Sorge, dass die Überweisung zur Gerontopsychiatrie bedeuten könnte, endgültig als „verrückt“ abgestempelt zu werden, nagte doch sehr an einem.
Man sitzt dann aber doch, wie bei jedem anderen Facharzt, im Wartezimmer, aufgeregt, unruhig, neugierig. Die Begrüßung ist freundlich, der Raum gemütlich, die Wartezeit kurz. Es folgt ein ausführliches Gespräch mit einer netten Dame mittleren Alters die sich einem als Ärztin vorgestellt hat, den Namen hat man sich in der Aufregung nicht gemerkt. Sie nickt oft mit dem Kopf, sieht einen freundlich an und fragt immer wieder nach. Offenbar versucht sie einen zu verstehen und sich ein genaues Bild zu machen. Dann wird man auch um bereits vorhandene Befunde gebeten und diese werde eingehend studiert, eine Liste der bereits eingenommenen Medikamente wird erstellt und zum Abschluss wird man gebeten mit einer anderen, etwas jüngeren Dame, ein paar Fragebögen auszufüllen und auch verschiedenste Fragen zum Gedächtnis zu beantworten. Das alles dauert ganz schön lange, ganz anders als wenn ein Röntgenbild gemacht wird - da ist man schnell wieder draußen.
Zuletzt wird man noch einmal in das Zimmer gebeten, in dem die Ärztin sitzt. Vor ihr liegen einige weitere Unterlagen, und sie erklärt ruhig und freundlich, dass man keine Demenz hat und die Vergesslichkeit andere Ursachen hat – nämlich eine Depression, die sich schon seit Längerem immer weiter in der Seele ausgebreitet hat. Sie betont, dass man keineswegs „verrückt“ ist, sondern dass es einem wie einem Viertel aller Österreicherinnen geht, die in ihrem Leben viel geleistet haben und bei denen nun im Gehirn das „Glückshormon“ Serotonin knapp geworden ist. Und – das Wichtigste von allem – sie erklärt, dass es Möglichkeiten gibt, damit es einem wieder bessergeht, damit man sich wieder wie „derdie Alte“ fühlt, Freude am Leben hat, ruhig schläft und das Essen wieder schmeckt.
Neben einem Rezept erhält man auch eine ausführliche Information über die Erkrankung, über zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten und über die zu erwartende Wirkung des Medikaments. Es besteht die Hoffnung, dass die Welt schon bald nicht mehr nur aus Grautönen, sondern – wie früher – wieder aus Farben bestehen wird.
Der Gedanke, dass Depressionen oft dann auftreten, wenn der „Rucksack“ des Lebens zu schwer geworden ist und dass Gespräche darüber helfen können, diesen Ballast zu erleichtern, hat einem gut gefallen. Plötzlich wirkt der eigene Zustand weniger bedrohlich. Abschließend erhält man einen Zettel mit einem Termin für eine Nachuntersuchung, bei der die Verträglichkeit und Wirksamkeit des Medikaments überprüft werden soll, verbunden mit der Einladung, sich jederzeit zu melden, wenn Fragen oder Bedenken aufkommen.
Eine genaue Diagnosestellung ist die Grundlage jeder Behandlung und kann einen bis hin zu mehreren Terminen in Anspruch nehmen. Erforderliche zusätzliche Untersuchungen können den Behandlungsbeginn hinauszögern und in schweren Fällen kann auch ein stationärer Aufenthalt von Nöten sein. Ziel ist allerdings immer – wie auch bei allen körperlichen Erkrankungen - möglichst rasch mit einer Behandlung zu beginnen um der Seele auch im Alter eine passgenaue Unterstützung zu bieten, um wieder zu gesunden.
Haben Sie den Mut einen Facharzt aufzusuchen?
Dr. Eva Tröbinger ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Ärztin für Allgemeinmedizin mit Akupunkturdiplom sowie Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Traumatherapie. Sie ist stellvertretende ärztliche Leiterin der Psychosozialen Dienste der Hilfswerk Steiermark GmbH und arbeitet als Gerontopsychiaterin seit 2016 im Gerontopsychiatrischen Dienst der Süd-Ost-Steiermark.
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