Der Titel eines Essays des amerikanischen Publizisten Nicholas Carr, „Macht Google uns dumm?“ (Carr, 2008), wirft genau diese Frage auf. Macht Google aber nicht nur uns, sondern vor allem auch unsere Kinder „dumm“? Heutzutage verlassen wir uns zunehmend auf Informationen aus dem Internet und andere schnelle digitale Wissensquellen. Google ist dabei ein gutes Beispiel: Je mehr man „googelt“, desto weniger muss das Gehirn selbst speichern.
Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer greift die Tatsache auf, dass durch die digitalen Medien die Informationsverarbeitung nicht mehr durch das menschliche Gehirn erledigt werden muss. Er spricht in diesem Zusammenhang von „Digitaler Demenz“ (2012). „Demenz“ stammt vom lateinischen Wort „dementia“ ab und bedeutet so viel wie „ohne Geist“ oder „ohne Verstand“.
Wir wissen heute aus der Gehirnforschung, dass unser Gehirn sich laufend durch seinen Gebrauch verändert. Wahrnehmen, Denken, Erleben, Fühlen und Handeln hinterlassen sogenannte „Gedächtnisspuren“. Also nur die Gehirnnutzung führt zu Wachstum der Gehirnareale. Unser Gehirn funktioniert wie ein Muskel, wird er gebraucht, wächst er; wird er nicht gebraucht, verkümmert er. Natürlich wird das Gehirn auch bei Verwendung der digitalen Medien „gebraucht“, aber nur in sehr geringem Ausmaß. Ein Kind lernt schnell, welche Tasten gedrückt werden müssen, wie und wohin auf einem Touch-Screen gewischt werden muss um Ton und Bild zu verändern. Wenn man einem 2-jährigen Kind ein Handy in die Hand gibt, kann man gut beobachten, wie schnell das Kind den Umgang mit dem Smartphone „checkt“. Warum birgt aber der frühe Gebrauch von Computer, Smartphone und Co. so große Risiken für Kinder?
Kinder müssen schnell lernen, denn sie wissen noch nicht viel und müssen sich die Welt rasch aneignen um in dieser auch überleben zu können. Das heißt auch, dass das Kind vor allem in dieser Zeit des schnellen Lernens besonders prägbar, und alles, was sie in dieser Zeit erfahren, hinterlässt Spuren im Gehirn. Deshalb ist es keineswegs gleichgültig, wenn Kinder viele Stunden vor dem Fernseher, Computer oder an Spielkonsolen verbringen, da diese „künstlichen Erlebnisse“ die Gehirnstruktur erheblich beeinflussen können..
Für eine gesunde Entwicklung des Gehirns ist es entscheidend, dass zuerst einfache reale (echte) Lebenserfahrungen gemacht werden. Nur so ist später komplexes Denken möglich. Nur echte, soziale Kontakte befähigen Kinder dazu, Bindung und in weiterer Folge Freundschaften aufzubauen, Gefühle und unterschiedliche Befindlichkeiten zu verstehen. Das Kind muss Sinneserfahrungen sammeln und aktiv seine Welt gestalten dürfen, um die Welt begreifen zu können. Nur dadurch können sich im Gehirn die Milliarden von Nervenzellen verbinden und lebenslanges Lernen ermöglichen.
Weiters hört man oft stolze Eltern darüber berichten, dass ihr 2-jähriges Kind schon die englischen Wörter über das Tablet gelernt hat. Diese englischen „Worthülsen“ werden jedoch leer bleiben und wieder in Vergessenheit geraten. Denn Sprache lernen Kleinkinder gerade in den ersten Jahren nur über Bezugspersonen und nur in einem „echten“ emotionalen Bezugsrahmen. Nur dann können im Gehirn Gedächtnisspuren für Englisch entstehen.
Ein Drittel unseres Gehirns ist dafür zuständig, dass wir unseren Körper bewegen, d.h. dass wir in der Welt handeln, aktiv in sie eingreifen und sie nicht nur passiv zur Kenntnis nehmen. Das vermittelt auch der Begriff „Be-greifen“, die Hand spielt dabei eine wesentliche Rolle. Spitzer belegt anhand von Studien, dass jene Kinder, welche im Kindergarten ihre Finger besser handhaben, auch die besseren mathematischen Fähigkeiten vorweisen konnten (ebd., 2014).
Wenn wir unseren Kindern die Möglichkeit geben wollen, sich geistig, sozial, emotional und motorisch gesund zu entwickeln, dann sollte der Umgang mit digitalen Medien gerade bis in die Vorschulzeit bewusst eingeschränkt werden. Meine ganz persönliche Empfehlung: Kindergartenkinder sollten maximal eine halbe Stunde pro Tag mit digitalen Medien verbringen. Schulkinder sollten maximal eine Stunde pro Tag im „Netz surfen“. Neben einer zeitlichen Beschränkung ist entscheidend, wie wir Eltern und Erziehende mit den digitalen Medien umgehen – was wir unseren Kindern „vorleben“. Natürlich sind digitale Medien heute nicht mehr wegzudenken und haben uns auch den schnelleren Fortschritt gebracht. Wir sollten aber eine bewusste Mediennutzung und keine Mediensucht vorleben.
Wir haben die Hilfswerk Kinderbetreuungs-Fachbereichsleitung Mag. Manuela Wurzer-Plendner zum Kurzinterview gebeten.
Literaturquellen:
Carr N. (2008): Is Google making us stupid? The Atlantic monthly, July 2008
Spitzer M. (2009): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens; Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg
Spitzer M. (2014): Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen; Droemer Verlag
Winter R. (2011): Jungen. Eine Gebrauchsanweisung. Jungen verstehen und unterstützen; Beltz Verlag
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