Auf dem Weg zur eigenen Sprache
Alle Kinder sind sprachbegabt: Schon bei ihrer Geburt verfügen sie über alle Voraussetzungen, um sich Sprache aus dem alltäglichen Zusammenhang heraus anzueignen.
Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über die wichtigsten „Meilensteine“ der kindlichen Sprachentwicklung. In welchem Tempo es diese durchläuft, ist bei jedem Kind unterschiedlich. Mit diesem Wissen und der daraus folgenden Gelassenheit, weder sich noch das Kind unter Druck zu setzen, kann die spannende Entdeckungsreise auf dem Weg zur eigenen Sprache lustvoll in Angriff genommen und erfolgreich gemeistert werden.
Schon in den letzten Wochen vor der Geburt beginnt der Spracherwerb. Denn mit der Entwicklung des Gehörs prägt sich das Ungeborene Sprachmelodie und Sprechrhythmus seiner Muttersprache ein. Auch die Stimme seiner Mutter und einfache Tonfolgen erkennt es wieder.
TIPPS:
- Auch ohne spezielle vorgeburtliche „Übungseinheiten“ ist das Ungeborene mit jeder Menge Sinneswahrnehmungen konfrontiert, die es alle verarbeiten muss. Wenn es sich bewegt, legen Mütter oder Väter meist ganz intuitiv die Hand auf den Bauch der Mutter. Sprechen Sie mit Ihrem Ungeborenen dabei in einem ruhigen und melodischen Tonfall.
In unserer Welt angekommen
Auch wenn sie die meiste Zeit schlafen, nehmen Babys in ihren ersten Lebenswochen ihre Umgebung schon detailliert wahr. Gibt es z. B. etwas zu hören, drehen sie ihren Kopf in Richtung Geräuschquelle. Am liebsten hören sie die Stimme ihrer Mutter, die sie schon aus dem Babybauch kennen. Selbst können sie sich vorläufig nur durch Schreie äußern.
TIPPS:
- Babys schreien, um sich mitzuteilen. Sie auf den Arm zu nehmen oder ihnen ein Lied vorzusingen, schafft nicht nur Vertrauen, sondern sie lernen dabei auch, dass sie mit ihren Äußerungen etwas bewegen können.
- Wenn Sie beim Sprechen in sanften, hohen Tönen die Selbstlaute betonen, erkennt das Baby die vertrauten Sprachmelodien aus dem Mutterleib besser wieder.
- Die Vorgänge beim Wickeln, Füttern oder Anziehen mit einfachen Sätzen zu beschreiben, verbindet persönliches Erleben mit Sprache.
- Das Baby reagiert auf ein plötzliches Geräusch? Indem wir auf seine Reaktion eingehen, erlebt es, dass es wahrgenommen wird. Zum Beispiel: „Hast du das Klingeln gehört? Das sind sicher Oma und Opa. Sie freuen sich schon, dich zu sehen.“
Vom Schreien zum Jauchzen
Bald kann das Baby schon mit einem Lächeln auf seine Umgebung reagieren. Nachdem es seine Sprechorgane ausreichend in Schwung gebracht hat, übt es sich in verschiedenen vorsprachlichen Äußerungen: Es gurrt, jauchzt und brabbelt munter vor sich hin. Nach und nach beginnt es, die Laute und Rhythmen seiner Umgebung zu imitieren.
TIPPS:
- Wenden wir dem Baby unser Gesicht zu und ermöglichen Blickkontakt, kann es genau beobachten, wie sich unser Mund beim Sprechen verschiedener Laute verändert. Das Baby lernt, indem es abschaut und nachmacht.
- Babys wollen mit uns kommunizieren. Indem wir ihnen Fragen stellen und ihnen auch Zeit für eine „Antwort“ lassen, erleben sie schon früh die Grundlagen des Dialogs.
- Gesten, wie z. B. einen Gegenstand, über den wir sprechen, in die Hand zu nehmen oder darauf zu zeigen, unterstützen unsere Äußerungen.
Im 2. Lebenshalbjahr starten Babys mit ihren ersten „Lallmonologen“ in den nächsten Level ihrer Sprachreise. Sie ahmen Laute nach und reihen sie in endlosen Silbenketten aneinander. Nachdem sie einfache Gegenstände mit den richtigen Namen verbinden und darauf zeigen können, können sie jetzt auch einfache Gebärden lernen, z. B. „Winke-Winke“ oder „Bitte-Bitte“.
TIPPS:
- Durch Nachahmen seiner Laute fühlt sich das Kind verstanden, eine einfache Frage motiviert zum nächsten „Lallmonolog“.
- Das Baby zeigt auf einen Gegenstand? Zeigen Sie doch auch darauf und stellen Sie eine konkrete Frage, z. B.: „Willst du mit dem Ball spielen?“. So wird die richtige Bezeichnung in einen konkreten inhaltlichen Zusammenhang gebracht.
- Einfache Lieder, Reime und Fingerspiele machen ab jetzt besonders viel Freude
... die Gehirnareale für Bewegung und Sprache eng miteinander verknüpft sind? Die motorischen Fähigkeiten entwickeln sich aber früher, so dass Babys und Kleinkinder auch Zeigegesten und einfache Gebärden zur Kommunikation verwenden. Wenn Ihr Kind auf etwas zeigt, sollten Sie daher auch verbal darauf reagieren.
Es ist so weit: Das erste Wort des Kindes wird überschwänglich gefeiert! Meistens ist es das Zufallsprodukt einer Silbenkette, z. B. „Mama“. Die ersten Wörter beziehen sich auf konkrete Personen und Gegenstände aus dem direkten Umfeld. Sie werden stellvertretend für einen ganzen Satz eingesetzt. „Ball“ kann z. B. stehen für „Wo ist der Ball?“ oder „Spielst du mit mir Ball?“. Daher spricht man auch von Ein-Wort-Sätzen.
TIPPS:
- Das erste Wort „passiert“ dem Kind noch – je mehr Freude Sie und nahe Bezugspersonen darüber zeigen, umso begeisterter wird es das Wort wiederholen und weitere lernen.
- Durch die Einbindung der ersten Wörter in einfache Sätze und aktivierende Fragen wird die kindliche Sprachwelt rasch umfangreicher. „Ball.“ „Genau, das ist der Ball. Willst du mit ihm spielen?
Nachdem die ersten Wörter gebührend gefeiert wurden, beginnt die Zeit des Wörtersammelns. Mit ca. 1,5 bis 2 Jahren fragen Kinder selbst nach Begriffen und erweitern ihren Wortschatz: rund 500 Wörter verstehen sie mittlerweile, 50 bis 200 verwenden sie und bilden aus zwei oder mehr Wörtern immer neue Sätze.
TIPPS:
- Das Kind möchte seine Umgebung jetzt ganz genau erforschen. Gehen Sie in Ihren Dialogen verstärkt auf Eigenschaften von Dingen ein, jedes Adjektiv hilft dem Kind und wird freudig in den Wortschatz übernommen.
- Wiederholen Sie die Sätze Ihres Kindes in richtiger Form und hängen Sie eine Frage an, die Ihr Kind zum Weiterreden und Weiterdenken motiviert
... die Anzahl der Nervenzellen unser ganzes Leben nahezu gleichbleibt? Dennoch verdoppelt sich das Gehirngewicht bis zum 3. Lebensjahr, denn die neuronalen Verbindungen nehmen zu. Diese Verdichtung findet bis zum 10. Lebensjahr am intensivsten statt.
Sätze und Aussprache werden geradegerückt
Nach und nach verschwinden Grammatik- und Satzbaufehler aus den einfachen Sätzen, die das Kind mittlerweile bildet. Es versteht auch schon längere Sätze und Aufforderungen, kann einfache Zusammenhänge erklären, Fragen stellen, sich selbst mit eigenem Namen und später mit „Ich“ benennen.
TIPPS:
- Die Aussprache einiger Wörter fällt noch schwer? Wiederholen Sie einfach die Wörter in richtiger Form und sorgen Sie für viele Situationen, in denen sie ganz selbstverständlich verwendet werden.
- Rollenspiele machen nicht nur Spaß, sondern fördern Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis und Kreativität.
3- bis 4-jährige Kinder kennen mittlerweile rund 1.000 Wörter, und damit verstehen sie auch den Großteil von dem, was wir sprechen. Ihre Sätze werden immer länger, umfassen Haupt- und Nebensätze und Vorwörter finden ihren Einzug. Auch die Aussprache ist nun für alle verständlich. Mit vielfältigen Fragen wollen Kinder nun die Welt rund um sich immer weiter entdecken.
TIPPS:
- Fragen des Kindes verdienen eine Antwort: keine wissenschaftlichen Erklärungen, sondern solche, die Sicherheit geben und bestätigen, dass das, was es rund um sich beobachtet, gut ist, so wie es ist. „Warum geht die Sonne jeden Tag auf?“ „Weil wir Menschen und die Pflanzen das Licht brauchen.“
- Ausreden-Lassen und offene Fragen fördern die Fähigkeit zum komplexen Satzbau, z. B.: „Was hat dir am Spielplatz am besten gefallen?“ statt „Hat dir das Sandspielen Spaß gemacht?“.
- Der kreative Umgang mit Sprache macht jetzt schon richtig Spaß. Lustige Reime fördern die Freude an der Sprache; ein Bild zu beschreiben fördert Ausdrucksfähigkeit und Fantasie.
Denken und Sprechen werden abstrakt
Der aktive Wortschatz des Kindes wächst auf bis zu 5.000 Wörter an. Dazu gehören nicht nur Vor- und Fürwörter, sondern auch abstrakte Begriffe wie Liebe oder Angst. Das Kind kann nun auch über Dinge sprechen, die es nicht sieht. Sogar Passivsätze und indirekte Fragen können schon formuliert werden. Die fehlerfreie Bildung von Fällen, Mehrzahl und Verbformen gelingt immer öfter, und die verschiedenen Laute werden nach und nach richtig ausgesprochen.
TIPPS:
- Auch wenn das Kind jetzt schon viel spricht, sind neue sprachliche Anregungen weiterhin wichtig.
- Gemeinsame (Vor-)Lesezeit ist wichtig. Dabei können Gefühle thematisiert, das Einfühlungs- und Abstraktionsvermögen gefördert sowie die Basis für die Schreib- und Lesekompetenz gelegt werden.
Bereit fürs Schreiben und Lesen
Im Übergang vom Kindergarten zur Volksschule unterscheidet das Kind zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem und ordnet einzelne Begriffe korrekt Oberbegriffen zu. Es kann seine Gefühle artikulieren und andere trösten. Es beherrscht die Möglichkeitsform („Bei mir würde es nur Pudding geben!“) und bildet Relativsätze („Das ist das Buch, das ich mir wünsche.“). Beim Hören kann es die verschiedenen Laute und Silben unterscheiden und selbst Reime bilden.
TIPPS:
- „Silbenklatschen“ fördert das Verständnis für den Aufbau von Wörtern. Lustige Wortkreationen machen besonders viel Spaß, z. B. der „Superleckerschmeckerschlecker“.
- Den eigenen Namen zu erforschen und ihn z. B. mit Buchstabenformen zu „legen“, bereitet spielerisch aufs Erlernen der Schriftsprache vor.
- Bildgeschichten in die richtige Reihenfolge zu bringen, fördert das strukturierte Denken.
Vom Konkreten zum Abstrakten
Nun kann das Kind Sprache schnell und automatisch verarbeiten. Es kann sich mündlich und schriftlich verständlich und sprachlich korrekt äußern. Anders als bisher nimmt es auch nicht mehr alles wörtlich, sondern ist auch in der Lage, ironische Aussagen zu verstehen und zu durchschauen.
TIPPS:
- Witze und Rätsel sind nun besonders attraktiv und fördern gleichzeitig das Abstraktionsvermögen.
Sprache wird durch lustvolle Begegnung erworben, nicht durch Zwang!
Die angeborene kindliche Neugierde und der Wunsch, sich anderen mitzuteilen, sind die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Sprachentwicklung. Je vielseitiger die Anregungen sind, die Sie Ihrem Kind liefern, je mehr Sie den Dialog suchen, je öfter Sie Äußerungen Ihres Kindes aufnehmen, darauf eingehen und signalisieren, dass Kommunikation keine Einbahnstraße ist, umso besser wird sich seine Sprach kompetenz entwickeln.
Sie haben das Gefühl, dass Ihr Kind Probleme bei der Sprachentwicklung hat? Dass es zu wenige Wörter beherrscht, Probleme mit der Aussprache hat und sich seiner Umgebung nicht adäquat mitteilen kann? Holen Sie sich Rat in einer Kinderarztpraxis oder Familienberatungsstelle.