Heute Geige, morgen Englisch, am Freitag Kinderyoga und am Wochenende Tennis. Die kindlichen Terminkalender sind oft schon so voll, wie jene ihrer Eltern. Viel Zeit, um einfach zu spielen und die Welt für sich selbst zu entdecken, bleibt da nicht. Aus Angst, ihr Kind könnte in seiner Entwicklung hinter Gleichaltrigen zurückliegen und den Anschluss verpassen, greifen Eltern zu einer Vielzahl an Fördermaßnahmen. Doch durchgetaktete Tagesabläufe und Spezialkurse für Klein- und Vorschulkinder bringen Studien zufolge selten die von den Eltern erhofften Ergebnisse.
„Förderitis“ nennt der Lernpsychologe und Erziehungswissenschafter André Frank Zimpel den Virus, der immer mehr Eltern zu befallen scheint. Eltern denken, sie könnten das kindliche Gehirn wie einen Muskel trainieren, und organisieren daher einen Kurs nach dem anderen. Doch diese im Grunde gute Absicht führt schnell zur „Überförderung“ und dieser folgt oft die Überforderung des Kindes. Durch die vielen „Szenenwechsel“ und die fehlende Zeit, um die zahlreichen Anregungen, Inhalte und Eindrücke zu verarbeiten, kann es zu Unruhe, Schlafproblemen und Konzentrationsschwierigkeiten kommen.
Entwickeln kann man zwar einen Analogfilm im Fixierbad einer Dunkelkammer, bei Lebewesen ist dies aber unmöglich. Auch Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
In seinem Buch „Spielen macht schlau“ betont Zimpel, dass Spielen die effektivste Form des sozialen Lernens ist. Nichts macht Kinder so klug wie das selbstvergessene, frei gewählte Spiel. Hilfswerk-Expertin Martina Genser-Medlitsch rät Eltern daher: „Entspannen Sie sich und vertrauen Sie auf die natürliche Entwicklungstriebfeder Ihres Kindes. Schaffen Sie den zeitlichen Rahmen und örtlichen Freiraum für das Spielen, schenken Sie unvoreingenommene Zuneigung und ungeteilte Aufmerksamkeit. Das ist das beste Entwicklungsfundament.“
Und auch was die richtige Wahl des Spiels anbelangt, ist Zurücklehnen angesagt: Kinder suchen selbstständig die Anforderungen, die im jeweiligen Moment am besten zu ihrer Entwicklung passen. Ist das Sortieren von Bausteinen nach Farbe oder Form noch zu schwierig, bauen sie vielleicht „nur“ einen Turm. Ist ein Puzzle im Moment zu kompliziert, lassen sie es nach kurzer Zeit links liegen und suchen sich eine andere Beschäftigung. Kinder vermeiden geschickt Über- und Unterforderung und optimieren so spielerisch das Lernen.
„Natürlich spricht nichts dagegen, wenn Kinder ihre Fähigkeiten und Begabungen auch in einem Kurs entdecken und entwickeln können. Leistungsdruck ist hier aber gänzlich fehl am Platz. Zudem sollten solche Fixpunkte im Tagesablauf keinesfalls das freie, zwanglose Spielen zu sehr einschränken oder gar verunmöglichen“, betont Expertin Genser-Medlitsch. Eltern sollten sich daher ganz bewusst mit den „Spielverderbern“ auseinandersetzen und im Familienkalender jenen zeitlichen Freiraum schaffen, der einfach nur zum Spielen da ist, egal ob alleine, gemeinsam mit den Eltern oder anderen Kindern, draußen oder drinnen. Zusätzlich brauchen Kinder ausreichend Pausen und Gelegenheit, ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu verarbeiten, indem sie in Ruhe darüber nachdenken oder mit anderen darüber sprechen können.
…und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.
Neben dem Anspruch, ihr Kind bestmöglich zu fördern, neigen manche Eltern auch zu einem übersteigerten Sicherheitsdenken. Doch auch damit tun sie ihrem Kind in vielen Fällen nicht nur Gutes. „Sich als Eltern in Gelassenheit und Zuversicht zu üben, heißt auch, seinem Kind Herausforderungen zuzutrauen, ihm und seinen Fähigkeiten Vertrauen zu schenken“, so Martina Genser-Medlitsch. Werden Kinder etwa ständig von A nach B chauffiert oder täglich mit dem Auto zur Schule gebracht, nehmen wir ihnen wichtige Erfahrungsmöglichkeiten. Denn geht das Kind den Weg zur Schule allein, nachdem es ihn mit den Eltern geübt hat, gibt ihm das Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein. Sind Schulfreunde gemeinsam unterwegs, kommt eine wichtige soziale Komponente dazu. Oft wird so schon der Weg zum Erlebnis.
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