„Wir begrüßen das Vorhaben der Österreichischen Gesundheitskasse, ab Herbst die psychotherapeutische Versorgung schrittweise um 20.000 Plätze aufzustocken“, meint Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, denn: „Nicht nur das Hilfswerk und andere fachlich und praktisch tätige Träger und Institutionen fordern seit Jahren eine Verbesserung der Versorgungslage in Österreich, auch der Rechnungshof wies bereits darauf hin, dass eine bessere Versorgung maßgeblich dazu beitragen würde, wesentlich höhere Folgekosten zu verhindern“. Dabei gehe es laut Anselm nicht nur um die langfristige Einsparung von Kosten, es gehe vielmehr um die Bewältigung bzw. Vermeidung von Leid und die Stärkung der Selbsthilfepotenziale Betroffener. Als professioneller Anbieter von Leistungen im Bereich der psychischen und psychosozialen Gesundheit wisse man seitens des Hilfswerks aus der jahrelangen Praxis sehr gut, dass eine fachlich kompetente Intervention zur rechten Zeit enorm helfen kann, Erkrankungen, Krisen und Belastungssituationen zu bewältigen.
Letzteres gelte auch für die aktuelle Corona-Krise, die laut Praxisbefund des Hilfswerks jedenfalls einen Mehrbedarf an Unterstützung zeige. „Gerade chronisch kranke, aber auch hochbetagte und pflegebedürftige Menschen sowie deren Angehörige sind in der Corona-Krise zusätzlich gefordert. Zu den Herausforderungen des radikal veränderten Alltags kommt in diesen Risikogruppen noch eine sich verschärfende Isolation hinzu, aber auch Ängste und Sorgen mit Folgewirkungen. „Das kann aufgrund der kritischen Gemengelage psychischen Belastungssymptomen bzw. Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen Vorschub leisten bzw. psychische Vorerkrankungen befördern und körperliche wie psychische Kräfte schwinden lassen“, erläutert Anselm die Zusammenhänge. Die Fachleute sehen sich in der Praxis aber auch bei Familien, Kindern und Jugendlichen mit einem Mehrbedarf an psychosozialer Unterstützung konfrontiert. Dieser entstehe etwa durch spezifische Konflikte, aber auch durch die allgemeine Überforderung in der Krise sowie den Druck, der aus aktuellen schulischen oder sozialen Defiziten resultiere. „Diesen Gruppen unserer Gesellschaft müssen wir dringend mehr Unterstützung anbieten – auch durch zugehende Angebote“, ist Anselm überzeugt.
Grundsätzlichen Reformbedarf sieht man bei den Rahmenbedingungen der Versorgung in Österreich, die nach Ansicht des Hilfswerks nach wie vor ein intransparentes Flickwerk seien. Teilweise unübersichtliche, oftmals auch restriktive Bedingungen machten den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung zum Spießrutenlauf. Das gelte für Betroffene ebenso wie für Anbieter von psychotherapeutischen Diensten. Es brauche endlich einen Gesamtvertrag statt Stundenkontingenten mit Zuzahlungen, die zudem in den Bundesländern auch höchst unterschiedlich ausfallen.
„Es kann doch nicht sein, dass Versicherte der Österreichischen Gesundheitskasse je nach Wohnort unterschiedliche Bedingungen vorfinden, was ihren Zugang zur Leistung und ihre finanzielle Eigenbeteiligung angeht“, kritisiert Anselm. Dasselbe gelte für die Angebotsseite. Bewährte und kompetente Anbieter müssten unabhängig davon, ob sie als Einzeltherapeutinnen und -therapeuten agieren oder als Dienstleister mit angestellten Therapeutinnen und Therapeuten, Zugang zu Verträgen mit den Kassen haben. Als dringlich sieht man beim Hilfswerk auch die Notwendigkeit an, die Kostensätze anzupassen und diese qualitätsgerecht und zukunftsfähig zu gestalten. Eine Direktverrechnung der Anbieter mit der ÖGK anstatt der Vorleistung durch die Patient/innen würde es vielen, v. a. finanziell schlechter gestellten Personen erleichtern, entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Außerdem weist das Hilfswerk darauf hin, dass eine Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten durch die Einbindung von Psychologinnen und Psychologen eine maßgebliche Maßnahme wäre, um dem bestehenden Engpass an Fachleuten beizukommen. Nicht nur die Arbeit von Psychotherapeutinnen und -therapeuten wirke effizient, sondern auch klinisch-psychologische Behandlungen und Therapien, wie mehrere wissenschaftliche Studien belegten.
Während klinisch-psychologische Behandlung und Therapie im stationären Bereich (Krankenanstalten) längst etabliert und gesetzlich seit 1993 verankert seien, gäbe es das Angebot klinisch-psychologischer Behandlung bzw. Therapie als Kassenleistung im niedergelassenen Bereich noch immer nicht, obwohl damit eine massive Versorgungslücke auch in den ländlichen Gebieten rasch und adäquat zu schließen wäre. Durch die Aufnahme klinisch-psychologischer Behandlung als Kassenleistung ins Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) könne man den akuten Versorgungsbedarf für Menschen mit psychischen Erkrankungen, vor allem auch für die stark wachsende Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Behandlungsbedarf auf jeden Fall besser und rascher abdecken, so Elisabeth Anselm abschließend.