„Mit dem Personalpaket nimmt die Bundesregierung die erste wichtige Etappe der Pflegereform in Angriff. Sie verbreitert das Ausbildungsangebot, sieht die finanzielle Unterstützung aller Auszubildenden einschließlich der Berufsumsteiger/innen vor und hat auch Maßnahmen im Bereich der Rot-WeißRot-Card mit Blick auf Pflegekräfte aus dem Ausland gesetzt. Das begrüßen wir sehr. Jetzt geht es darum, gravierende Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, die den Erfolg einer Personaloffensive gefährden könnten“, warnt Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich.
Stolpersteine in der Ausbildung: zu wenig Praktikumsplätze und Praxisanleiter/innen
Die Ausbildung von Pflege- und Betreuungskräften in allen Berufsgruppen (DGKP, Pflege(fach)assistent/innen, Heimhilfen) erfolgt zu einem Drittel bis zur Hälfte der Curricula in Form von Praktika. Allein in den Landesverbänden des Hilfswerks betreuen aktuell 608 Praxisanleiter/innen 1.360 Praktikant/innen jährlich. Bereits in den letzten Jahren sind die quantitativen und qualitativen Anforderungen an die Praktikumsbetriebe laufend gestiegen.
- Die Wissens- und Kompetenzvermittlung in der Praxis hat sich in den vergangenen Jahren professionalisiert und bedarf je nach Berufsbild spezifischer Herangehensweisen. Das erhöht auch die Anforderungen an die Praxisanleiter/innen. Dem stehen zu wenige, tw. praxisferne und zu teure Weiterbildungsangebote für Anleiter/innen gegenüber (Kurskosten zw. 3.000 und 4.000 Euro).
- Wenn die Ausbildungsoffensive greift, werden aus den bestehenden Ausbildungsstätten signifikant mehr Praktikantinnen und Praktikanten zu erwarten sein. Darüber hinaus werden die neuen Ausbildungsangebote im Bereich der Berufsbildenden Schulen – hier ist von 8.000 Ausbildungsplätzen die Rede – und in der Lehre, aber auch aus dem Titel des Stipendiums des AMS für Umsteiger/innen ein Plus an Bewerber/innen bringen. Diese zusätzlichen Kapazitäten müssen geplant, werden, damit es nicht zu Engpässen bei den Praktikumsplätzen kommt.
- In Österreich gibt es keine Datengrundlage zu Anzahl und Art der verfügbaren Praktikumsplätze sowie zur Entwicklung des Bedarfs an Praxisanleiter/innen. Politik und Ausbildungsbetrieben fehlt somit eine seriöse Planungsbasis. Praktikant/innen wiederum vermissen Vergleichsoptionen und ein Vermittlungsservice, weil systematisches „Matching“ zwischen Auszubildendem/r und Ausbildungsbetrieb kaum möglich ist.
"Verfügbarkeit und Zugänglichkeit geeigneter Praktikumsplätze sind unabdingbar für die Umsetzung der Ausbildungsoffensive. Die Qualität der Praktika ist ausschlaggebend, ob bzw. mit welcher Motivation Auszubildende die Ausbildung abschließen und in den Pflegeberuf einsteigen“, erläutert Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. Ein entscheidender Qualitätsfaktor sind die Praxisanleiter/innen. Bei deren Ausbildung besteht aus Sicht des Hilfswerks Handlungsbedarf. Insbesondere sollen die Übernahme der Kosten für die Weiterbildung und die betriebliche Freistellung der Praxisanleiter/innen, die Absicherung von (Zeit-) Ressourcen für die Praxisanleitung und eine praxisorientierte Anpassung des Weiterbildungsregimes umgesetzt werden. Weiters braucht es die rasche Etablierung eines nationalen und regionalen Monitorings, das Personalbedarf, Ausbildungsstätten und Praktikumsplätze, Absolventinnen und Absolventen sowie Praktikumsanleiter/innen erfasst und als Datenbank zugänglich macht.
Darüber hinaus sollen nach Schweizer Vorbild Lehrwerkstätten als so genannte „Dritte Lernorte“ etabliert und so mehr Praktikumsplätze geschaffen werden. Theorie und Praxis könnten dort in „geschütztem Rahmen“ – etwa für Auszubildende unter 17 Jahren, die von den Schulen oder aus der Lehrausbildung kommen – verbunden werden. Die Finanzierung der Praktikumsplätze könnte sich ebenfalls am Schweizer Modell orientieren. „Eine explizite Praktikumsplatzfinanzierung sichert nicht nur die notwendigen Ressourcen für eine qualitätvolle Praktikumsanleitung ab, sondern sorgt auch für mehr Klarheit, was den Leistungsumfang der Praxisanleitung betrifft, und entschärft Konflikte zwischen dem Erbringen von Pflegedienstleistungen und der Anleitung von Auszubildenden“, meint Anselm. Auch Hilfswerk-Präsident Karas fordert die nachhaltige Auflösung des jahrelangen Problemstaus: „Eine würdevolle Pflege braucht ordentliche Daten und Planungsgrundlagen, intelligente Steuerung und Kooperation sowie ausreichend Ressourcen und Personal.“
Stolpersteine bei der Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte
Um dem Personalengpass in der Pflege entgegenzuwirken, setzen Staaten wie Deutschland, Schweiz und Großbritannien auf gezielte Strategien, die Pflegekräften aus dem Ausland den Weg ins heimische Pflegesystem ebnen sollen, insbesondere auch Interessierten aus Drittstaaten. Allein Deutschland gewann auf diese Weise seit 2017 zwischen 30.000 und 33.000 Pflegekräfte pro Jahr. In Österreich scheitert eine derart strategische Herangehensweise an Diskrepanzen zwischen dem Regime der Rot-Weiß-Rot-Card und dem Berufsrecht sowie an der langwierigen und teuren Nostrifikation ausländischer Ausbildungen:
- Pflegeberufe gelten hierzulande als Mangelberufe, für ihre Ausübung kann eine Rot-Weiß-Rot-Card beantragt werden. Außerdem gehören sie zu den reglementierten Berufen. Bewerber/innen aus Drittstaaten müssen für die Anerkennung ihrer Ausbildung einen aufwändigen, langwierigen und oft teuren Nostrifikationsprozess durchlaufen (detaillierte Prüfung, ob die Ausbildung hiesigen Anforderungen entspricht oder ergänzende Ausbildungsmaßnahmen notwendig sind).
- Erst nach erfolgter Nostrifikation ist die Eintragung ins Berufsregister möglich, welche die Tätigkeit im erlernten Beruf erlaubt. Aufgrund einer COVID-Sonderregelung ist noch bis 31. 12. 2023 eine befristete Berufsausübung im erlernten Beruf bereits während der Nostrifikation, also vor Eintrag ins Berufsregister möglich. Ohne Eintrag können Betroffene jedoch keine Rot-Weiß-Rot-Card erwerben. Eine befristete Berufsausbildung UNTER dem erlangten Ausbildungsniveau (PA statt PFA, PFA statt DGKP) darf ins Berufsregister eingetragen werden und ermöglicht den Erwerb der RWR-Card. Pflegeassistent/innen steht diese Möglichkeit jedoch nicht offen, da keine Tätigkeit unter diesem Ausbildungsniveau definiert ist.
„Diese Diskrepanzen machen Fachkräften aus dem Ausland den Weg nach Österreich schwer bzw. verunmöglichen ihn überhaupt. Die Forderungen des Hilfswerks liegen deshalb auf der Hand: Sämtliche Schnittstellen im Aufenthalts- und Nostrifikationsverfahren sowie berufsrechtliche Anforderungen und die Kriterien für die Rot-Weiß-Rot-Card müssen dringend harmonisiert werden“, sagt Elisabeth Anselm. Die Möglichkeit, bereits während des Nostrifikationsverfahrens befristet im erlernten Berufsumfeld zu arbeiten, müsse dabei unbedingt beibehalten werden. Das Nostrifikationsverfahren selbst ist aus Sicht des Hilfswerks zu bürokratisch, komplex, kosten- und zeitintensiv und entspricht nicht den internationalen Standards für Verfahren zur Berufsanerkennung. Die Regelungen schrecken nicht nur Bewerber/innen ab, sondern auch Betriebe und Träger, die Fachkräfte auf ihrem Weg nach Österreich begleiten wollen. Stefan Fritz, Geschäftsführer des Hilfswerk International, beklagt u. a. die langen Wartezeiten für Ergänzungskurse und deren hohe Kosten (400 Euro / Kurs). „Das überfordert die Bewerber/innen bei weitem, besonders bei eingeschränkten oder – im Falle von Pflegeassistent/innen – nicht vorhandenen Erwerbsmöglichkeiten“, so Fritz.
„Wir brauchen dringend eine Vereinfachung, Beschleunigung und konsequente Modernisierung des Verfahrens sowie einen One-Stop-Shop, der Bewerber/innen Informationen, unterstützende Services und Begleitung anbietet. Die schwerfälligen Ergänzungskurse sind durch fachliche Unterweisung im Ausbildungsbetrieb und mit entsprechenden Ausbildungskräften zu ersetzen. Dieses System bewährt sich beispielsweise in Deutschland sehr gut. In strategisch definierten Schwerpunktländern müssen interessierten Bewerber/innen, heimischen Betrieben und Pflegeträgern Kontaktpunkte und Vor-Ort-Services zur Verfügung stehen“, schlägt Elisabeth Anselm abschließend vor.