„Wer die seit vielen Wochen anhaltende Pflegedebatte verfolgt, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in Politik und Medien nur einzelne Puzzlesteine verhandelt werden. Was fehlt, sind Antworten auf die Frage, wie das österreichische Pflegesystem den demografischen Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte begegnen soll“, so Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich.
„Wir müssen endlich wegkommen von der leidigen Diskussion über Teilaspekte des Pflegethemas, Stichwort: 24-Stunden-Betreuung. Und die Politik muss davon Abstand nehmen, Einzelmaßnahmen – Stichwort: Wegfall des Pflegeregresses – zu setzen, solange die nachhaltige Weiterentwicklung des heimischen Pflegesystems als Ganzes nicht gewährleistet ist“, meint Karas.
Es sei, so Karas, höchste Zeit, dass sich die politischen Verantwortungsträger/innen in Bund und Ländern mit Expertinnen und Experten aus Demographie und Volkswirtschaft sowie aus der Praxis der Pflege zusammensetzen und gemeinsam das „big picture“ zur Pflege von morgen ausgestalten. „Wir brauchen endlich einen ,Runden Tisch‘, an dem die Gesamtzusammenhänge des Pflegesystems zur Sprache kommen. Ziel muss es sein, möglichst ohne Tabus und ideologische Scheuklappen sowie ohne föderalistische Revierkämpfe um Budgetmittel an einer zukunftsfitten und volkswirtschaftlich sinnvollen Neuausrichtung des österreichischen Pflegesystems zu arbeiten: orientiert am Wohl der Bedürftigen und ihrer Angehörigen“, fordert Karas.
Ineffiziente Schnittstellen
Aus Sicht des Hilfswerk Österreich ist eine nachhaltige Aufstockung der Budgets und ein differenzierter Ausbau des Pflegesystems unerlässlich. Insbesondere die vergleichsweise kostengünstige mobile Pflege und Betreuung zuhause muss gestärkt werden. Dennoch ortet Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, Potenzial für effizienteren Mitteleinsatz. Etwa bei den Schnittstellen zwischen Pflege- und Gesundheitsbereich:
„Es ist vielerorts aktuelle Praxis, dass eine mobile Pflegekraft trotz ihrer Kompetenz im Bereich der Mitwirkung bei medizinischer Diagnostik und Therapie keine Blutprobe abnimmt und diese ins Labor bringt. Rechtlich gesehen dürfte sie das. Stattdessen wird die zu pflegende und womöglich bettlägerige Person per Krankentransport ins nächste Spital gebracht, ist Krankenhauskeimen ausgesetzt und verbringt dort unnötige Wartezeit. Das ist teuer – und eine Zumutung für die zu pflegende Person“, erläutert Anselm.
Ein weiteres Beispiel: 250.000 Personen leiden in Österreich an chronischen Wunden. Jährlich kommen weitere 68.000 Betroffene dazu. Laut Erhebung des Wundreports 2015 (IFES Institut) müssen knapp zwei Drittel der Befragten mindestens alle drei Tage den Verband wechseln. Dafür suchen 58 Prozent der Betroffenen einen niedergelassenen Arzt oder ein Krankenhaus auf. Letzteres birgt die Gefahr nosokomialer Infektionen („Krankenhausinfektion“), die bei multimorbiden Menschen häufig tödlich enden. Das Problem wäre einfach und kostengünstig durch einen verstärkten Einsatz von akademischen Wundmanager/innen zu beheben, die in der mobilen Pflege bereits jetzt vor Ort zur Verfügung stünden. Diese Fachkräfte sind jedoch nur eingeschränkt handlungsfähig, weil die extrem langen Wartezeiten auf verhältnismäßig günstige Verbandmaterialen einer effizienten Wundversorgung im Wege stehen. Ursache für diesen Missstand: die aberwitzige Dauer der Genehmigungsverfahren bei Verbandmaterialien.
Und noch ein Beispiel: Auch am Markt medizinischer Hilfsmittel gilt, das Bessere ist der Feind des Guten. Produktinnovationen gewährleisten höheren Behandlungserfolg, kürzere Behandlungsdauer und minimieren den Mittelverbrauch. Sie rechnen sich also, auch wenn neue Produkte teurer als ältere sind. Derzeit aber haben Neuentwicklungen kaum eine Chance, im österreichischen Pflegesystem Verwendung zu finden, da sie von Sozialversicherungsträgern nur dann genehmigt werden, wenn die Anschaffungskosten geringer sind als jene für das billigste bereits gelistete Produkt.
„Die Aufzählung derartiger Szenarien lässt sich leider beliebig fortsetzen. Grund genug, endlich den ,Runden Tisch‘ zur Pflegereform einzuberufen. Frau Ministerin Hartinger-Klein, Sie sind am Zug!“ so Othmar Karas abschließend.
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