Am 25. November 2019 hat das Sozialministerium gemeinsam mit dem Institut für Höhere Studien (IHS) und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) die Ergebnisse zweier, noch im Auftrag der vorigen Bundesregierung durchgeführten Studien präsentiert. Einerseits wurde vom IHS die künftige Finanzierung der Langzeitpflege beleuchtet, andererseits hat die GÖG auf Basis der verfügbaren Daten eine Bedarfsprognose zum Pflegepersonal errechnet.
„Grundsätzlich ist begrüßenswert, mit validen Daten für eine realistische Einschätzung des Pflegesektors und seiner Perspektiven zu sorgen“, meint Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. „Nun sollten wir aber schleunigst ins Tun kommen. Besonders im Bereich des Personals läuft uns in Österreich die Zeit davon“, warnt Anselm, und erwartet von der nächsten Bundesregierung eine entsprechende Prioritätensetzung.
„Alleine die Altersverteilung bei den heute aktiven Pflegekräften muss die Alarmglocken läuten lassen, erst recht in Anbetracht des massiv wachsenden Personalbedarfs“, meint Anselm. So hätten sich in das neu etablierte österreichische Gesundheitsberufe-Register bis Herbst 2019 rund 150.000 Pflegekräfte eingetragen, davon seien knapp 100.000 diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen und etwa 50.000 Pflegeassistent/innen. „Über ein Viertel der Diplomierten und mehr als ein Drittel der Assistenzkräfte sind zwischen 50 und 65 Jahre alt, sehen also bereits ihrer Pensionierung entgegen“, erläutert Anselm, und ist überzeugt, dass man auf neue Anforderungen nachfolgender Generationen an Beruf und Ausbildung dringend reagieren müsse.
Grundlegende und mutige Reform der Ausbildung ist Gebot der Stunde
Anselm fährt fort: „Für uns ist völlig klar, dass wir künftig nur dann genügend Menschen für die Arbeit in der Pflege und Betreuung gewinnen können, wenn wir einige der Hindernisse und Flaschenhälse beseitigen, die die Pflegeausbildung in Österreich heute aufweist“. Die Ausbildung sei aktuell ein struktureller Fremdkörper in der heimischen Bildungslandschaft. In diesem Zusammenhang weist Anselm auf die „Lücke“ hin, die dadurch entsteht, dass nach der Pflichtschule kein Einstieg in das Berufsfeld möglich ist. Hier verliere man jedes Jahr junge, interessierte Menschen. Zudem kritisiert Anselm, dass, von einzelnen Pilotversuchen abgesehen, die Berufsausbildung im Gesundheits- und Sozialbereich nicht mit einer Matura verbunden werden kann. Die Durchlässigkeit im Berufsfeld ließe ebenfalls zu wünschen übrig.
Der „Lückenschluss“ nach der Pflichtschule sei laut Hilfswerk insbesondere mit Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen zu schaffen, letztere implizierten außerdem die für viele attraktive Möglichkeit der Matura. Aber auch duale Ausbildungswege nach dem Muster der „Lehre“ sieht das Hilfswerk als Chance für jene Menschen, die eine praxisbetonte Ausbildung zum Einstieg in das Berufsfeld suchen und diesen mit einem Verdienst verbinden wollen. Dem oft gehörten Argument, dass Interessierte nach der Pflichtschule zu jung für eine einschlägige Ausbildung wären, könne man durch entsprechend gestaltete Curricula begegnen, meint Anselm. „Wir sind überzeugt, dass wir möglichst breite und vielfältige Wege anbieten müssen. Jede und jeder soll da abgeholt werden, wo sie bzw. er steht“, sagt Anselm. Inhaltlich müsse man laut Hilfswerk der gesellschaftlichen Entwicklung insofern besser gerecht werden, als man eine Aufwertung der Langzeitpflege und geriatrischer Aspekte in der Ausbildung konsequent vorantreiben müsse. Das sollte sich in den Curricula und Praktika klar abbilden, meint Anselm.
Konsequente und umfassende Attraktivierung des Einstiegs in den Beruf
Ob es sich nun um junge Menschen handelt oder um interessierte Umsteigerinnen und Umsteiger: Das Hilfswerk plädiert im Bereich der Pflegeberufe in jedem Falle für die Übernahme der Ausbildungskosten durch die öffentliche Hand. Das wäre laut Hilfswerk angesichts des Bedarfs volkswirtschaftlich mehr als gerechtfertigt. Für Umsteigerinnen und Umsteiger brauche es außerdem auch berufsbegleitende Programme sowie individualisierbare Unterstützungslösungen, die helfen, den Lebensunterhalt während der Ausbildung zu bestreiten. „Gerade ältere Umstiegs-Interessierte sind wertvoll für die Pflege, haben aber oft Familie und brauchen finanzielle Sicherheit, auch während der Umschulung bzw. Ausbildung“, erläutert Anselm. Darüber hinaus ist man im Hilfswerk überzeugt, dass es ohne ausländische Pflegekräfte nicht gehen werde. „Wir halten die Ausweitung und Regionalisierung der Mangelberufslisten für unabdingbar, ebenso wichtig sind Programme, die interessierten und geeigneten Menschen mit Migrationshintergrund den Weg in den Beruf ebnen“, sagt Anselm.
„Wenn es uns nicht gelingt, mit Blick auf den wachsenden Bedarf rasch, beherzt und intelligent die richtigen Weichen zu stellen, dann gefährden wir die pflegerische Versorgung der österreichischen Bevölkerung. Denn was auch immer uns im Bereich der Finanzierung einfällt, eines ist klar: Im Bereich des Personals haben wir es mit völlig anderen Geschwindigkeiten zu tun. Ausbildung braucht Zeit. Und Ausbildung muss den Ansprüchen heutiger und kommender Generationen an Interessierten gerecht werden. Deshalb haben wir keine Zeit zu verlieren“, so Anselm abschließend.