„Knapp 25.000 pflege- und betreuungsbedürftige Menschen nutzen eine 24-Stunden-Betreuung, um ihren Alltag trotz Unterstützungsbedarf zu Hause zu bewältigen. Das sind 5,5% aller Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher in Österreich. Für diese Menschen und ihre Angehörigen ist diese Betreuungsform hoch relevant“, sagt Othmar Karas, Präsident Hilfswerk Österreich. „Trotzdem ist die Förderung der 24-Stunden-Betreuung seit ihrer Einführung im Jahr 2007 nicht einmal valorisiert, die qualitative Weiterentwicklung der 24-Stunden-Betreuung auf Basis des Qualitätszertifikats ÖQZ-24, die im Regierungsprogramm bzw. im Bericht der ‚Task Force Pflege‘ festgehalten ist, ist nicht auf den Weg gebracht worden. Das ist ein fatales Signal in Richtung der Betroffenen, aber auch in Richtung der Betreuerinnen und Betreuer. Die Politik darf diese Menschen nicht länger im Stich lassen“, mahnt Karas.
Der öffentliche Diskurs über die 24-Stunden-Betreuung muss objektiviert werden
Das Thema 24-Stunden-Betreuung polarisiert. Das kritische Bild, das im öffentlichen Diskurs oft gezeichnet wird, entspricht jedoch nicht der Realität, wie das Hilfswerk auf Basis von aktuellen Erhebungen und Befunden darlegt. „Wir sollten uns in der Diskussion an Fakten statt an Mythen orientieren, wir sollten Empirie statt Emotion als Richtschnur der Debatte festlegen, alles andere hilft uns nicht weiter“, mein Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin Hilfswerk Österreich. Um ein objektives Bild der Situation zu vermitteln, hat das Hilfswerk am 16. Dezember 2021 sowohl Daten aus einer neuen empirischen Untersuchung von Dieter Scharitzer, Wirtschaftsuniversität Wien, und dem Marktforschungsinstitut TQS Research & Consulting präsentiert, aber auch auf die Ergebnisse der rund 20.000 Hausbesuche zur Qualitätssicherung in der Häuslichen Pflege zurückgegriffen, die im Auftrag des Sozialministeriums jährlich durchgeführt werden.
Die Qualität und Zufriedenheit mit der 24-Stunden-Betreuung ist nachweislich hoch
Brigitte Liebenberger, Leiterin der 24-Stunden-Betreuung im Hilfswerk, hat die Praxis der 24-Stunden-Betreuung im Detail erläutert: „Die 24-Stunden-Betreuung des Hilfswerks ist eine mit dem staatlichen Qualitätszertifikat ÖQZ-24 ausgezeichnete Agentur. Aus unserer Sicht sind transparente und faire Verhältnisse sowie eine entsprechende Qualität und Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer der 24-Stunden-Betreuung deshalb ebenso relevant wie für die Personenbetreuerinnen und -betreuer.“ Klärung und Ausgleich der Interessen seien entscheidend, um auf beiden Seiten Zufriedenheit herzustellen, meint Liebenberger. Das ÖQZ-24 verlange zudem, dass eine Reihe von Standards eingehalten werden, darunter insbesondere die laufende Qualitätssicherung durch Diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal. In den Ergebnissen der Hausbesuche zur Qualitätssicherung in der Häuslichen Pflege, die im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführt werden, spiegle sich jedoch nicht nur die Arbeit der 38 zertifizierten Agenturen. Die Ergebnisse umfassten alle Haushalte, die in Österreich eine Förderung für 24-Stunden-Betreuung beziehen. Umso beachtlicher sei es daher, dass der häuslichen Pflege im Allgemeinen und der 24-Stunden-Betreuung im Speziellen ein sehr hohes qualitatives Niveau attestiert werde. „Die Versorgung in den wesentlichen Untersuchungsfeldern wird zu 97% als vollständig und zuverlässig bewertet“, betont Liebenberger.
Kunden/Kundinnen und Personenbetreuer/innen sind zufrieden mit der Betreuung
Die neue Befragung bei Betreuer/innen und Kundinnen bzw. Kunden der 24-Stunden-Betreuung des Hilfswerks durch Dieter Scharitzer, Wirtschaftsuniversität Wien, und dem Marktforschungsinstitut TQS Research & Consulting zeigen ein ähnlich positives Bild. „Die hohen Rücklaufquoten ermöglichen einen validen und detaillierten Einblick in die Realitäten des Betreuungsalltags“, erläutert Scharitzer. „Angesichts des Befragungszeitraumes in einer Hochphase der Corona-Pandemie und der besonders herausfordernden Rahmenbedingungen, unter denen 24-Stunden-Betreuung aktuell stattfindet, sind die Ergebnisse geradezu sensationell“, sagt Scharitzer. „Das Hilfswerk macht hier nachweislich einen wirklich guten Job. Sowohl die Kundinnen und Kunden als auch die Personenbetreuerinnen und Personenbetreuer zeigen eine hohe Zufriedenheit mit der Betreuung und Unterstützung durch das Hilfswerk“, fasst Scharitzer zusammen. „Manch anderer Dienstleister wäre froh, solches Feedback zu haben“, stellt Scharitzer vor dem Hintergrund seines breiten Einblicks in diverse Branchen fest.
Beispielhaft seien folgende Ergebnisse der aktuellen Befragung herausgegriffen:
- Mit 96% ist für den weitaus größten Teil der befragten Auftraggeber/innen bzw. betreuten Personen der Wunsch bzw. die Möglichkeit zum Verbleib in den eigenen vier Wänden der zentrale Grund, warum sie sich für eine 24-Stunden-Betreuung entschieden haben.
- 97% von ihnen sagen aus, dass sie ihren/ihre Betreuer/in als freundlich bis sehr freundlich wahrnehmen. Zu 96% wird von einem respektvollen bis sehr respektvollen Umgang berichtet.
- 91% der Befragten erleben den/die Betreuer/in souverän bis sehr souverän, ebenso stellen 91% der Befragten fest, dass der/die Betreuer/in auf persönliche Bedürfnisse eingeht.
- Für 79% der befragten Auftraggeber/innen hat sich die Lebensqualität für die betreute Person sehr bzw. eher verbessert, seit eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch genommen wird.
- Die Verbesserung ist vor allem auf die persönliche Anwesenheit des Betreuers/der Betreuerin (88%) und die Hilfe im Alltag (85%) zurückzuführen.
- Für 86% der Angehörigen hat sich die Lebensqualität sehr bzw. eher verbessert, seit eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch genommen wird.
- Die Verbesserung ist vor allem auf die Entlastung (90%) zurückzuführen sowie darauf, dass sich die Angehörigen weniger Sorgen machen um die pflegebedürftige Person (87%).
- 79% der befragten Personenbetreuer/innen bewerten das System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich im Ländervergleich als sehr bzw. eher gut, nur 6% bewerten es als eher bzw. sehr schlecht.
- 76% sind sehr bzw. eher zufrieden mit der konkreten Arbeit in „ihrer“ betreuten Familie, 72% sind mit der administrativen Unterstützung und 79% mit der Unterstützung durch die Regionalverantwortlichen des Hilfswerks sehr bzw. eher zufrieden.
- 78% fühlen sich sehr bis eher gut vorbereitet auf die konkrete Situation (Schulung und Übergabe durch Kolleg/innen), 73% sehen dies ebenso betreffend den Umgang mit der pflegebedürftigen Person.
Die typische Personenbetreuerin entspricht nicht dem öffentlichen Klischee
Besonders interessant angesichts zahlreicher Mythen zu den Betreuungspersonen: Die typische vom Hilfswerk vermittelte Personenbetreuerin ist mit 54 Jahren älter als oft angenommen, ihre Kinder sind meist schon aus dem Haus. Ihr Bildungsgrad ist gut, sie verfügt zu 35,7% über eine Matura, zu 24,1% über einen tertiären Abschluss. Sie arbeitet in Österreich, weil sie zu 70% im Herkunftsland sehr bzw. eher schwierig Arbeit findet, selbst ausgebildeten Pflegekräften gelingt dies zu 51% nicht. Bessere Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen sowie sicherere Arbeitsverhältnisse in Österreich sind ausschlaggebend für ihre Tätigkeit. Die Arbeit in der 24-Stunden-Betreuung hat für sie eine Langzeitperspektive, sie ist meist schon vor sechs Jahren oder mehr als Betreuungskraft nach Österreich gelangt und plant zu 56%, dieser Tätigkeit bis zur Pensionierung nachzugehen. Sie ist mit ihrer Arbeit in der aktuellen Familie zu 76% sehr bzw. eher zufrieden und hat zu 76% genügend Freizeit für sich.
Qualität, Sicherheit und Fairness durch Reform der Förderrichtlinie und der Standards
Vor dem Hintergrund der angekündigten Pflegereform steht aus Sicht des Hilfswerks für den Bereich der 24-Stunden-Betreuung die Reform der Förderrichtlinie samt Standards an. „Durch eine Valorisierung der Förderung muss jedenfalls der Kaufkraftverlust der letzten 14 Jahre kompensiert werden. Darüber hinaus muss eine Erhöhung dafür sorgen, dass in den Haushalten mehr finanzieller Spielraum für die Bezahlung besserer Honorare entsteht, für die man Honoraruntergrenzen definieren sollte“, fordert Hilfswerk-Geschäftsführerin Anselm. In ein adäquates Fördermodell sei überdies auch die Übernahme eines Teils der Kosten der Qualitätssicherung, etwa die Visiten der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegekräfte, einzupreisen. So wird die Leistbarkeit qualitätsgesicherter und zertifizierter 24-Stunden-Betreuung für einen breiteren Nutzerkreis verbessert. „Das Modell muss man im Detail noch gut durchrechnen, aber wir sind überzeugt, dass wir viel Spielraum haben, wenn wir den Vergleich mit den Kosten eines Pflegeheimlatzes anstellen“, meint Anselm.
Anstellungsmodell ist keine Lösung für die 24-Stunden-Betreuung
Der diskutierten Anstellung von Betreuungskräften erteilt das Hilfswerk eine klare Absage. Das Zusammenleben in einem Haushalt mit der betreuten Person und deren Familie erfordere ein bestimmtes Ausmaß an Freiheit, um eine Vereinbarung treffen zu können, die dem Wechsel von Arbeitszeit und Freizeit folgt. Das wäre im österreichischen Arbeitszeitgesetz nicht abbildbar. Man müsste in diesem Falle einen Schichtdienst von drei Personen um eine zu betreuende Person einrichten, wobei man auch Freizeitblöcke und Nächtigung integrieren müsste. Das entspräche weder den Bedürfnissen aller Beteiligten, noch wäre ein derartiges Modell organisierbar oder leistbar. Überdies würden die meisten Betreuungskräfte ihren Lebensmittelpunkt im Heimatland behalten wollen, der 14-tägige Turnus komme ihnen daher entgegen. „Wir sollten uns bei der notwendigen Weiterentwicklung von Fakten und realistischen Überlegungen leiten lassen, statt auf unpraktikable Ideen zu setzen. Dafür gibt es gute Grundlagen. Faire, sichere und qualitativ gute 24-Stunden-Betreuung ist auch im Selbstständigen-Modell lebbar, das zeigen die Ergebnisse diverser Befunde deutlich. Aber der Rahmen muss stimmen“, meint Hilfswerk-Präsident Karas. Jetzt gehe es um eine Reform der Förderrichtlinie auf Basis der weiterentwickelten und mit der erhöhten Förderung verknüpften Standards des staatlichen Qualitätszertifikates ÖQZ-24. Viel zu lange würde man schon auf dieses notwendige Maßnahmenpaket im Rahmen der Pflegereform warten, meint Karas.