Jahr für Jahr wird am 13. September der „Tag der pflegenden Angehörigen“ begangen. Für das Hilfswerk Grund genug, das öffentliche Interesse auf jene knapp eine Million Menschen zu lenken, die tagtäglich Außergewöhnliches leisten. „Pflegende Angehörige sind in Wahrheit das Rückgrat des österreichischen Pflegesystems. 38,5 Prozent aller Pflegegeldbezieher/innen werden ausschließlich informell, also in den meisten Fällen von Angehörigen betreut“, unterstreicht Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich, die Bedeutung pflegender Angehöriger. Über 30 Prozent der Haushalte, in welchen Pflegegeldbezieher/innen leben, nutzen zusätzlich mobile Dienste wie Hauskrankenpflege und Heimhilfe, etwas über 5 Prozent greifen auf eine 24-Stunden-Betreuung zurück.
Wer sind pflegende Angehörige und was belastet sie?
Immer mehr Menschen werden hochaltrig, die Wahrscheinlichkeit einer Pflegebedürftigkeit steigt. Die Phase der Unterstützungs- und Pflegebedürftigkeit wurde in den vergangenen Jahren signifikant länger, während die Zahl der Angehörigen in der nächsten Generation abnimmt. Auch der Wandel der Lebensumstände, wie beispielsweise die gestiegene Arbeits- und Wohnortmobilität, verändert Familien. „Dennoch sind pflegende Angehörige aktuell der größte Pflegedienst Österreichs und werden auch künftig eine zentrale Funktion erfüllen. Man darf sie aber nicht mit der Last der Pflege und Betreuung überfordern“, meint Karas.
Die Hälfte der pflegenden Angehörigen in Österreich ist über 60, ein Viertel bereits über 70 Jahre alt. In mehr als der Hälfte aller Fälle liegt die informelle Pflege in Händen der/des Ehe- oder Lebenspartners/in. Über 60 Prozent der pflegenden Angehörigen wohnen mit der gepflegten Person im gleichen Haushalt, von den restlichen 40 Prozent leben fast zwei Drittel in einer Fahrdistanz von maximal 15 Minuten, die Hälfte von ihnen ist täglich am Ort der Pflege. Rund 50 Prozent meinen, „rund um die Uhr verfügbar“ sein zu müssen. Wenn sie Menschen mit einer demenziellen Beeinträchtigung pflegen, haben sogar 58 Prozent der Angehörigen dieses Gefühl. 30 Prozent der pflegenden Angehörigen geben an, dass ihre (psychische oder physische) Gesundheit unter der Pflege- und Betreuungsaufgabe leidet, für rund die Hälfte ist die zeitliche Belastung groß, vor allem für teilzeitbeschäftigte Angehörige. Pflegende Angehörige fühlen sich oft allein gelassen, knapp 30 Prozent auch finanziell stark belastet. (Sämtliche Zahlen stammen aus dem Bericht „Angehörigenpflege in Österreich“ des BMASGK, 2018.)
Was brauchen pflegende Angehörige und welche Maßnahmen sind notwendig?
Pflegende Angehörige brauchen laut Hilfswerk vor allem mehr bedarfsgerechte Entlastung und Unterstützung sowie eine bessere soziale Einbindung und Absicherung.
Konkret fordert das Hilfswerk die Schaffung von Rahmenbedingungen für:
- mehr effektive Entlastung sowie bedarfsgerechtere und leistbare Angebote zur Unterstützung durch professionelle Dienste (z. B. mobile Dienste); unbürokratische, flexible Angebote zur mehrstündigen Tagesbetreuung zu Hause (was etwa für Angehörige demenziell beeinträchtigter Menschen hoch relevant wäre)
- niederschwellige, kostenlose und wohnortnahe (!!!) Information, Beratung, Orientierung und Unterstützung, direkt in der Wohngemeinde bzw. in den eigenen vier Wänden, durch regional tätige, bewährte und vernetzte Träger in der Pflege und Betreuung
- eine bessere sozialversicherungsrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger durch angepasste Zugangsvoraussetzungen zu Pensions- und Krankenversicherung sowie eine adäquate Anrechenbarkeit (!) von Pflegezeiten, selbiges gilt für Pflegekarenz und Pflegeteilzeit
- mehr finanziellen Spielraum durch mehr Fairness beim Pflegegeld: Die Begutachtungspraxis zum Pflegegeld muss verbessert werden, aktuell wird mehr als 50 Prozent der Klagen gegen die Einstufung stattgegeben. Zur Vermeidung von Fehlern (z. B. durch überfordernde Fragestellungen, nicht ausreichende Vorbereitung oder schambedingte Beschönigung der Pflegebedürftigkeit) bedarf es einer professionellen Unterstützung und Begleitung zu Hause lebender Betroffener und Angehöriger im Begutachtungsverfahren. Zudem fordert das Hilfswerk einen adäquaten Bonus für die Pflege zu Hause.
„Vor uns liegen zahlreiche Handlungsfelder, die rasch angepackt werden müssen, wenn wir eine menschenwürdige Pflege in Österreich sicherstellen wollen“, sagt Karas. „Wir brauchen endlich eine intelligente und beherzte Pflegereform. Und die ist nur im Miteinander von Bund UND Ländern umsetzbar, aber sicher nicht, wenn ein Player erste Reihe fußfrei zusieht, was der andere zuwege bringt. Die pflegebedürftigen Menschen in diesem Land und ihre Angehörigen haben sich ein Ende des Stillstands verdient“, so der Hilfswerk-Präsident abschließend.
Hilfswerk-Hotline für pflegende Angehörige
Wer in Krisensituationen schnell hilft, hilft doppelt. Deshalb gibt es die Hilfswerk Hotline für pflegende Angehörige. Sie steht allen offen, die in ihrem Alltag an ihre Belastungsgrenzen stoßen: unter 0800 640 660, von Montag bis Donnerstag von 9:00 bis 16:00 Uhr, Freitag von 8:00 bis 12:00 Uhr – gebührenfrei aus ganz Österreich. Qualifizierte Fachkräfte informieren über Entlastungsoptionen durch Pflege- und Betreuungsdienste, beraten bei Einsamkeit und Isolation, bei seelischer oder emotionaler Not, Überforderung und Krankheit, im Hinblick auf finanzielle Schwierigkeiten oder bei Fragen zu Pflege und Betreuung. Sie helfen Ratsuchenden, rasch und unkompliziert Unterstützung zu finden.