Am Samstag, 21. September ist „Welt-Alzheimertag“. Als führender Träger in der Pflege und Betreuung älterer und chronisch kranker Menschen nimmt das Hilfswerk Österreich dieses Datum zum Anlass, erneut auf die Bedürfnisse von Menschen hinzuweisen, die mit der pflegerelevanten Hauptdiagnose Demenz leben. Jede/r vierte Bürger/in über 80 Jahre und fast jede/r zweite über 90 Jahre sind davon betroffen. Alzheimer ist eine der am häufigsten auftretenden Formen demenzieller Beeinträchtigungen.
Insgesamt leben derzeit 130.000 Österreicherinnen und Österreicher mit demenziellen Beeinträchtigungen. Gesellschaft und Gesundheitssystem müssen sich aber schon jetzt darauf einstellen, dass sich diese Zahlen deutlich erhöhen werden, denn: Der wichtigste Risikofaktor ist die steigende Lebenserwartung. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Zahl der Menschen mit Demenz etwa verdoppeln.
Demenz in (fast) jeder Familie
Die Diagnose betrifft nicht nur die erkrankten Personen, sondern in ganz besonderer Weise auch deren persönliche Umgebung: Familie, Angehörige und Pflegende. Trotz der massiven Betroffenheit ist der gesellschaftliche Umgang mit Demenz von Verdrängung und Tabuisierung geprägt. „Das Phänomen Demenz muss in seiner Komplexität, seiner demographischen wie gesundheitspolitischen Bedeutung und in seinen sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen neu betrachtet werden“, fordert Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich. „Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zur inhaltlichen Ausrichtung einer Reform des Pflegesystems, die in den aktuellen Wahlkampfdebatten immer wieder in Aussicht gestellt wird“, so Anselm weiter.
Denn: „Je älter die Gesellschaft wird, desto weniger ist Demenz ein Einzelfall, sie wird vielmehr gleichsam zum familiären Regelfall. Wir dürfen Demenz, Betroffene und Angehörige nicht an den Rand der Gesellschaft verbannen oder verdrängen. Demenz spielt sich mitten unter uns ab. Und so müssen wir ihr auch begegnen“, ist Anselm überzeugt.
Mitten in der Gesellschaft – und doch außen vor
Führt man sich die Anzahl der Menschen mit Demenz vor Augen und rechnet ihre unmittelbaren Angehörigen dazu, müssten fast alle Österreicher/innen tagtäglich mit Demenz-Betroffenen in Kontakt kommen. Das Gegenteil ist aber der Fall, denn die Diagnose „Demenz“ bedeutet in der Regel Stigmatisierung, Ausgrenzung und eine in Gang gesetzte Schweigespirale. „Von ihren Mitmenschen werden Personen mit Demenz oft auf die Rolle als ‚Patienten‘ bzw. auf ihre Defizite reduziert“, sagt Sabine Maunz, Leiterin des Fachbereichs Pflege und Betreuung im Hilfswerk Österreich.
Das Hilfswerk fordert deshalb ein Umdenken und entsprechende Rahmenbedingungen, um die gesellschaftliche Teilhabe aller Betroffenen zu ermöglichen. „Wir müssen wegkommen vom vorrangig medizinisch geprägten Krankheitsdenken, hin zu einem würdevollen Betreuen und Begleiten, das Menschen mit Demenz weiter als Menschen wahrnimmt. Demenz-Betroffene und ihre pflegenden Angehörigen sind keine Objekte der Fürsorge, sondern Subjekte der Begegnung“, so Maunz.
Umfassendes Unterstützungspaket für Betroffene und Angehörige
„Das Hilfswerk ist der größte heimische Anbieter von Pflege zu Hause. Damit wir noch besser auf die speziellen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer (pflegenden) Angehörigen reagieren können, haben wir einen Fachschwerpunkt Demenz initiiert“, erläutert Sabine Maunz. Durch spezifische Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter/innen aller Berufsgruppen im mobilen Dienst, durch einen die Qualität der Pflege sichernden Fachleitfaden Demenz sowie durch Entwicklung und Ausbau neuer Angebote in Beratung und Betreuung trägt das Hilfswerk zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Demenz bei.
Auch die Entstigmatisierung von Demenz ist dem Hilfswerk Österreich ein großes Anliegen. Die Webportale hilfswerk.at/mehr-als-vergesslich/ und hilfswerk.at/ich-bin-dann-mal-alt/, die Hotline 0800 800 820 und spezielle Beratungsangebote in den Bundesländern bieten einen breiten und niederschwelligen Zugang.
Das Hilfswerk-Angebot ergänzen zwei Ratgeber rund um das Thema Demenz: „Ich bin dann mal alt. Wie sich das Gehirn im Alter verändert“ führt Menschen behutsam an die Fragestellung heran, wann und wie man auf wachsende Vergesslichkeit reagieren soll. „Mehr als vergesslich. Alltag mit Demenz: Ein Ratgeber für Angehörige“ steht Angehörigen mit vielen praktischen Tipps für deren Betreuungsalltag zur Seite. „Angehörige leisten einen großen Beitrag. Mit unseren Diensten wie Heimhilfe und Hauskrankenpflege unterstützen wir sie bestmöglich. Wir erkennen aber, dass es weiterer Services, etwa der mehrstündigen Tagesbetreuung bedarf. Daher fordern wir den Ausbau der Angebotspalette“, betont Maunz.
Angesichts von 130.000 Menschen mit Demenz in Österreich – Tendenz stark steigend – wünscht sich das Hilfswerk bedarfsgerechte, leicht zugängliche Unterstützungsangebote im gesamten Bundesgebiert. Insbesondere braucht es:
- Die nachhaltige Stärkung einschlägiger Kompetenzen im Bereich der Langzeitpflege
- mehr Angebote und Initiativen für Fortbildung, konsiliares und interdisziplinäres Arbeiten
- Unterstützung des Austauschs und der Selbsthilfe Betroffener und Angehöriger
- zugehende Beratungsangebote für Betroffene und Angehörige in den eigenen vier Wänden bzw. in der eigenen Lebenswelt (mobile Demenzberatung, konkrete Verbesserungen der Situation vor Ort)
- flächendeckenden Ausbau leistbarer mehrstündiger Tagesbetreuung zu Hause zur gezielten Entlastung und nachhaltigen Stärkung der Angehörigen (z. B. einen Nachmittag in der Woche „frei“ …)
- den Ausbau einschlägiger Angebote zur Kurzzeitpflege und von Tageszentren bzw. Fahrtendiensten
„Die Politik ist gefordert, den nötigen Rahmen zu gestalten, in dem qualitativ hochwertige Betreuung und Pflege insbesondere auch für Betroffene von Demenz und deren Angehörige möglich ist“, so Elisabeth Anselm abschließend.