Die Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), Verband der österreichischen Sozial- und Gesundheitsunternehmen, forderte heute in einer Pressekonferenz gemeinsam mit den größten Trägerorganisationen der Freizeitpädagogik einen umgehenden Stopp der bisherigen Planungen im Bereich der schulischen Tagesbetreuung. „Ein System ohne Not darf nicht durch Ho-Ruck-Aktionen zerstört werden. Jegliche Weiterentwicklung der Freizeitpädagogik kann nur unter Einbindung der Expertinnen und Experten aus der Praxis geschehen, also jener Träger, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tagtäglich hervorragende Leistungen erbringen“, so die Vertreterinnen und Vertreter aller Organisationen unisono.
Für SWÖ-Geschäftsführer Walter Marschitz lässt sich die Problematik der geplanten Regelungen prinzipiell in vier Bereiche einteilen: „Die Versorgungssicherheit wird durch die geplanten Maßnahmen in Frage gestellt, die Versorgungsqualität droht schlechter zu werden, es drohen Rechts- und Planungsunsicherheit im System und der Zeitplan ist nicht geeignet, um geordnete Übergänge zu schaffen“, erklärt Marschitz.
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, konkretisiert die Kritik: „In einem Bereich, der sich über Jahre entwickelt und justiert hat und wo die Abstimmung auf unterschiedliche Bedarfslagen an diversen Schulstandorten an Bedürfnisse der Eltern und Kinder vor Ort wirklich Sinn macht, kann man nicht einfach über Nacht den Hebel umlegen und sagen, wir steuern das jetzt planwirtschaftlich vom Schreibtisch des Bildungsministeriums oder der Bildungsdirektionen aus.“ Diese Vorgangsweise würde gemäß Anselm jedenfalls zu Versorgungslücken und Qualitätsverlusten führen. Auch deshalb, weil die Trägerorganisationen neben der pädagogischen Kernarbeit auch Ferien, Randzeiten und Nischenbereiche abdecken und eine Fülle von kleinteiligen organisatorischen Aufgaben verantworten. Zudem sei laut Anselm völlig unklar, wie man die notwendige Personalabdeckung im neuen Modell schaffen möchte.
„Besonders skeptisch sehen wir die angekündigten Reformen in Bezug auf die künftige Qualität des Bildungsangebotes. Wenn in Zukunft eine Berufsgruppe eingeführt werden soll, die im Wesentlichen dieselben Tätigkeiten wie Lehrerinnen und Lehrer ausführen darf, dafür aber schlechter qualifiziert und bezahlt ist, dann kann das langfristig für die Bildung der Kinder nicht zuträglich sein", sagt Daniela Gruber-Pruner, Bundesgeschäftsführerin der Österreichischen Kinderfreunde. Weiters betont sie, dass vor allem Frauen von den im Raum stehenden Maßnahmen betroffen sein würden: „Mitarbeiterinnen in einem weiblich dominierten Berufsfeld, die auch oftmals selbst Mütter sind, sind von einer unsicheren Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder erfahrungsgemäß noch immer am meisten betroffen.“
Gut funktionierendes und stabiles System
Mario Rieder, Geschäftsführer BiM – Bildung im Mittelpunkt ergänzt: „In Wien gibt es seit mehr als 20 Jahren ein gut funktionierendes und stabiles System der Zusammenarbeit in der schulischen Tagesbetreuung zwischen BiM - Bildung Im Mittelpunkt und etwa 150 Schulen als unseren Partnern, wie wir auch in zahlreichen Rückmeldungen von Schulleitungen im Rahmen der konkreten täglichen Zusammenarbeit in den letzten Tagen erneut bestätigt bekommen haben. Wir konnten zudem in den letzten Jahren den Wert einer vielfältigen Freizeitpädagogik an Schulen erfolgreich stärken und sichtbar machen und damit diese Tätigkeit als attraktives pädagogisches Arbeitsfeld positionieren.“
„Die derzeitigen schulischen Nachmittagsbetreuungen leisten weit mehr als die Betreuung am Nachmittag an allen Schultagen – wir bieten vielerorts Frühbetreuungen, Mittagsbetreuungen und vor allem Ferienbetreuungen in allen Ferien und an schulautonomen Tagen an. Die Erfahrung zeigt, dass Familien nur dann Beruf und Kinderbetreuungspflichten gut vereinbaren können, wenn gesichert eine Ferienbetreuung mit dem gewohnten Personal stattfindet“ betont Panzenböck-Stockner, Prokuristin der Service Mensch GmbH, Volkshilfe NÖ. Neben diesem Rund-um-das Jahr-Paket kümmern sich die Träger derzeit um Vertretungspersonal und bedarfsorientierte Personalausstattung vor Ort.
Die gesamte Branche fordert daher „raschest und mit Nachdruck“ die Einberufung eines Gipfeltreffens aller Beteiligten durch das Bildungsministerium. „Wir stellen selbstverständlich sehr gerne unsere Expertise zur Verfügung, um das System noch besser und dienlicher im Sinne der Betroffenen, also in erster Linie der Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern, aber auch der Beschäftigten und der Schulen zu gestalten. Das Bildungsministerium sollte gemeinsam statt einsam arbeiten, dann kann auch Fruchtbares entstehen“, so die Vertreterinnen und Vertreter aller Organisationen abschließend.