Aktuell entscheidet die Postleitzahl, welche Betreuungsschlüssel, Öffnungszeiten, Ausbildungen der Assistenzkräfte, Raumangebote, Sprachförderungen etc. es in den Kindergärten und Krippen gibt. Denn die Ausgestaltung des elementarpädagogischen Sektors ist weitestgehend Sache der Bundesländer. In der Praxis bedeutet das: völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen für die elementare Bildung, so die Kritik von „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“, einem Zusammenschluss führender gemeinnütziger Träger privater elementarpädagogischer Einrichtungen. „Wir begrüßen es, wenn Bildungsminister Heinz Faßmann, Familienministerin Susanne Raab und Klubobfrau Sigi Maurer die Beseitigung des Fleckerlteppichs in Österreich vorantreiben sowie die elementarpädagogischen Qualitätsstandards vereinheitlichen und verbessern wollen“, sagt Edith Bürgler-Scheubmayr, Geschäftsführerin der Caritas für Kinder und Jugendliche in Oberösterreich.
„Angesichts der großen Unzufriedenheit vieler Beschäftigter in diesem Berufsfeld möchten wir die politischen Verantwortungsträger ermutigen, ihren Worten rasch Taten folgen zu lassen und die notwendigen Budgetmittel für eine Qualitätsoffensive in der Elementarpädagogik bereitzustellen.
Unabhängig von Einkommen und Wohnort der Eltern müssen wir für alle Kinder in Österreich den bestmöglichen Einstieg ins lebenslange Lernen sicherstellen sowie attraktive Arbeitsbedingungen für PädagogInnen und Assistenzkräfte gewährleisten“, ist Barbara Tschofenig, Leiterin der Fachstelle Kinderbetreuung in der Volkshilfe Steiermark überzeugt. „Es ist höchst an der Zeit, dass die Bundesregierung nun mehr Geld in die Bildung und Betreuung von Kindern unter sechs Jahren investieren will: nicht nur in den quantitativen Ausbau, sondern vor allem in eine kontinuierliche Qualitätssteigerung“, sagt Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich.
Investitionen in die frühkindliche Bildung sind auch volkswirtschaftlich sinnvoll
In der Fachwelt herrsche Einigkeit darüber, dass Investitionen in frühkindliche Bildung und Sprachkompetenz, die Lebenschancen der Heranwachsenden in einer wissens-, innovations- und technologiebasierten Gesellschaft wesentlich verbessern, so Elmar Walter, Geschäftsführer der St. Nikolausstiftung Erzdiözese Wien, und fährt fort: „Aktuelle Studien zeigen, dass sich eine angemessene finanzielle Förderung elementarpädagogischer Einrichtungen auch volkswirtschaftlich rentiert.“
Im Forschungsbericht 2018 des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) wurde der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze von 2005 bis 2016 einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen. Zu Beginn dieses Zeitraums überwogen die Ausgaben, doch schon 2015 zeichnete sich ab, dass die Summe der Rückflüsse (z. B. durch Lohnsteuern und Sozialabgaben) letztendlich höher ausfielen als jene der getätigten Investitionen.
Die Industriellenvereinigung wiederum ließ in einer aktuellen Modellrechnung die Kosten für eine qualitative und quantitative Aufwertung des elementarpädagogischen Sektors bis 2030 erheben. Ohne die oben skizzierten Reformen würde dessen jährlicher Finanzierungsbedarf bei 2,75 Mrd. Euro liegen. Preist man die Reformen jedoch ein (inkl. akademischer Aufwertung der pädagogischen Ausbildung, höherer Gehälter sowie eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahrs etc.) läge der zusätzliche Bedarf an Investitionen bei 344 Mio. Euro pro Jahr. Davon flössen aber rund 56 Prozent wieder an den Fiskus zurück. Somit ergäbe sich ein jährlicher Nettomehrbedarf von 183 Mio. Euro.
„Dieser Betrag entspricht genau den Kosten für 18,9 neu gebaute Autobahnkilometer der A5 oder 4,6 sanierte Kilometer der Wiener Südosttangente“, rechnet Martina Genser-Medlitsch, fachliche Leitung des Bereichs Kinder, Jugend und Familie im Hilfswerk Österreich, vor und meint abschließend: „Ausgaben, die im Straßenbau bedenkenlos akzeptiert werden, sollten für die Elementarpädagogik recht und billig sein. Krippe, Kindergarten und Hort sind keine Aufbewahrungsorte, sondern Bildungsinstitutionen, deren Qualität die Lebenschancen unserer Kinder maßgeblich beeinflusst.“
Bund muss für österreichweite elementarpädagogische Mindeststandards sorgen
Über so genannte 15a-Vereinbarungen erbringt der Bund Anschubfinanzierungen für Vorhaben, die über den elementarpädagogischen Regelbetrieb hinausgehen. Die nächste diesbezügliche 15a-Vereinarung soll im September 2022 in Kraft treten. Die Trägerinitiative Kinderbetreuung appelliert an die Bundesregierung, in den Verhandlungen mit den Ländern auf österreichweiten elementarpädagogischen Mindeststandards zu bestehen, deren Einhaltung zu kontrollieren und die Zuteilung von Budgetmitteln daran zu knüpfen. „Denn der bestehende Fleckerlteppich verhindert, dass Österreich die 2002 im EU-Rat beschlossenen Barcelona-Ziele erreicht und Anschluss an die elementarpädagogischen Musterländer in Skandinavien findet“, sagt Daniel Bohmann, Geschäftsführer der Kinderfreunde Österreich.
Ein wesentliches Barcelona-Ziel ist es, die Ausgaben für den elementarpädagogischen Sektor in den EU-Mitgliedsstaaten auf 1 Prozent des BIP zu erhöhen. Österreich hält derzeit bei 0,64 Prozent, für die Trägerinitiative Kinderbetreuung ein bildungs- und gesellschaftspolitisches Armutszeugnis. „Wir fordern deshalb nicht nur die Anhebung der laufenden Investitionen auf 1 Prozent des BIP. Für die strukturelle Verbesserung des elementarpädagogischen Angebots benötigt Österreich auch eine zusätzliche Kindergartenmilliarde“, meint Grete Miklin, Geschäftsführerin des Bundesverbands Österreichischer Elternverwalteter Kindergruppen.
Die wichtigsten politischen Handlungsfelder
Verfügbarkeit: Eine qualitätsgesicherte, flächendeckende Bildung und Betreuung der Kinder ist der Schlüssel zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Öffnungszeiten müssen Eltern ein berufliches Fortkommen ermöglichen, unabhängig vom Wohnort. Auch die Trägerinitiative Kinderbetreuung fordert den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.
Bildungsqualität: Mehr Präsenz der PädagogInnen in den Gruppen durch Entlastung bei den bürokratischen Aufgaben! Fachkraft-Kind-Schlüssel: In Kinderkrippen (0- bis 3-Jährige) maximal zehn Kinder und, je nach Altersverteilung, ein Schlüssel von 1:3 bis maximal 1:5. In Kindergartengruppen (2,5- bis 6-Jährige): maximale Gruppengröße von 20 Kindern, je nach Altersverteilung ein Schlüssel von 1:5 bis maximal 1:7. Für die Fachkraft-Kind-Schlüssel in den Gruppen ist zudem der Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache oder mit Behinderungen zu berücksichtigen. Derzeit schwanken die Schlüssel in den Bundesländern zwischen 1:5 und 1:25.
Ausbildung: Klare Definition der Berufsbilder Hilfskraft, AssistentIn und Fachkraft sowie Etablierung maßgeschneiderter Ausbildungsmodule! Um die angespannte Personalsituation zu verringern, sollten AssistentInnen bei Eignung nach mehrjähriger Berufspraxis eine bezahlte berufsbegleitende Qualifikation zur Fachkraft absolvieren dürfen. Aktuell müssen AssistentInnen je nach Bundesland zwischen 0 (!) und 520 Stunden an einschlägigen Schulungsstunden belegen. Im Übrigen ist jede Verbesserung der Rahmenbedingungen im elementaren Sektor eine Chance, ausgebildete ElementarpädagogInnen ins Berufsfeld zurückholen. Das muss angesichts des PädagogInnen-Mangels als schnelle und lösungsorientierte Variante der Personalgewinnung mitbedacht werden.
Angebote: Flächendeckendes Angebot an Plätzen für Kinder bis drei Jahren – auch für Kinder mit Behinderungen! Vielen Gemeinden fehlt es heute an Geld, ihren BürgerInnen Bildungs- und Betreuungsangebote für die Allerjüngsten anzubieten. Sprachförderung: Kraft Ausbildung müssen ElementarpädagogInnen in der Lage sein, eine am individuellen Kindeswohl orientierte und in den pädagogischen Alltag integrierte Förderung der Sprachkompetenzen zu leisten. Dafür braucht es spezifische Fortbildungen sowie Reflexionsmöglichkeiten mit LogopädInnen, PsychologInnen etc. – und entsprechende Förderungen für die Träger.
Über „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“
BÖE (Bundesverband Österreichischer Elternverwalteter Kindergruppen), Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Kinderfreunde, St. Nikolausstiftung und Volkshilfe haben sich unter dem Namen „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“ zusammengeschlossen, um Anliegen und Positionen im Bereich der Elementarpädagogik gemeinsam zu vertreten. Als gemeinnützige Träger privater Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen ist es das Ziel, praktisches Know-how und fachliche Inputs einzubringen. Die wichtigsten Anliegen sind: Fachkräftemangel, nachhaltige Verbesserung der pädagogischen Qualität, die Gestaltung österreichweiter, den wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasster Rahmenbedingungen sowie die Durchforstung des Förderdschungels.
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