Am 28. Mai 2021 veröffentlichte der Rechnungshof einen bisher kaum diskutierten Bericht zur „frühen sprachlichen Förderung in Kindergärten“. Der Bericht analysiert exemplarisch an den Bundesländern Nieder- und Oberösterreich die Umsetzungen und Auswirkungen der Bund-Länder-Vereinbarungen („15a-Vereinbarungen“) zur Förderung des frühkindlichen Spracherwerbs in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen.
Seit dem Jahr 2008 stellt der Bund den Ländern bedarfsorientierte Zweckzuschüsse für zusätzliche Maßnahmen in diesem Bereich zur Verfügung. Denn: Je früher ein Kind – egal, ob als Erst- oder Zweitsprache – die deutsche Sprache erlernt, umso leichter fällt der Schuleinstieg und -fortschritt, womit sich auch die Chancen auf einen erfolgreichen Ausbildungs- und Berufsweg erhöhen. Dieser wohl unbestrittenen Position stehen aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Herangehensweisen, Rahmenbedingungen sowie Defizite in der Organisation der frühkindlichen Sprachförderung entgegen.
Zentrale Kritikpunkte und Empfehlungen des Rechnungshofs
· Erhebung des Sprachniveaus für alle Kinder! Zuschüsse für zusätzliche Maßnahmen!
Der Rechnungshof kritisiert, dass nicht alle Kinder der entsprechenden Altersgruppe verpflichtend einer Feststellung ihres Sprachniveaus unterzogen werden. Die Zuschüsse seien zudem teilweise dafür verwendet worden, die Finanzierung bereits bestehender Einrichtungen bzw. Maßnahmen zu bestreiten.
· Bundeseinheitliche Kriterien der sprachlichen Frühförderung!
Der Rechnungshof fordert das BM:BWF auf, unter Einbeziehung der Bundesländer sowie von sprachwissenschaftlichen Expertinnen und Experten die Kriterien für frühe sprachliche Förderung in Österreich weiterzuentwickeln und auf bundesweit einheitliche Kriterien zu drängen.
· Bessere Datenlage zur Wirksamkeit der mit den Zweckzuschüssen finanzierten Maßnahmen!
Die Entscheidung zur Fortführung der Finanzierung der frühen sprachlichen Förderung über Zweckzuschüsse sollte vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung auf Basis aussagekräftiger Wirkungsdaten getroffen werden.
· Einbeziehung von Elementarpädagoginnen und -pädagogen im Zuge der Erhebung des Sprachniveaus vor dem Schuleintritt!
Der Rechnungshof kritisiert die unterschiedlichen Zahlen für den Sprachförderbedarf, wie sie am Ende des letzten Kindergartenjahres bzw. bei Schuleintritt erhoben werden. Er empfiehlt die Involvierung von Elementarpädagoginnen und -pädagogen bei der Feststellung des Sprachstands im Zuge der Schuleinschreibung sowie die Evaluierung der aktuell eingesetzten Messinstrumente.
Einheitliche Rahmenbedingungen für Sprachförderung in elementaren Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen
Deutliche Worte findet der Rechnungshof, was die Rahmenbedingungen der sprachlichen Frühförderung im Besonderen sowie die von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedliche Ausgestaltung der Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen im Allgemeinen betrifft. Und er nimmt sowohl das BM:BWF als auch den von der Bundesregierung neu eingerichteten Bildungsbeirat in die Pflicht. Divergierende Anforderungen an das Kindergartenpersonal, variierende Qualitätsniveaus hinsichtlich des Personalschlüssels, der Gruppengrößen, des Raumangebots, der Öffnungszeiten u.a.m. sowie unterschiedliche Finanzierungen – etwa die uneinheitlichen Förderzahlungen an private Träger – seien Stolpersteine bei der Weiterentwicklung der Kindergärten zu primären Bildungseinrichtungen.
Dem stimmt „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“ vollinhaltlich zu. Denn: Die relevanten Erfolgsfaktoren der Sprachförderung im Elementarbereich sind Zeitressourcen und sensitive, individuelle sprachliche Zuwendung der Pädagoginnen und Pädagogen zu jedem einzelnen Kind. Dazu kommen noch die Gestaltung eines anregenden und Sicherheit gebenden Gruppenklimas und die einfühlsame Anregung verbaler Interaktionen der Kinder untereinander. Damit diese Faktoren ihre positive Wirkung auf die Sprachentwicklung entfalten können, bedarf es aber besserer Rahmenbedingungen in den elementaren Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Oberste Priorität muss es sein, die Sprachbildung – sowohl im Erstsprach- als auch im Zweitspracherwerb – durch das pädagogische Stammpersonal zu stärken und die alltagsintegrierte Sprachförderung zu fördern.
Besserer Fachkraft-Kind-Schlüssel
Ein angemessener Fachkraft-Kind-Schlüssel und überschaubare Gruppengrößen bilden die Grundlage für qualitativ hochwertige, elementare Bildungsprozesse. Sie wirken sich vorteilhaft auf die kognitive und sprachliche Entwicklung sowie das Wohlbefinden von Kindern in Einrichtungen aus. Derzeit variiert der Pädagoge/in-Kind-Schlüssel bei Kleinkindgruppen in der Altersstufe der Zwei- bis Dreijährigen je nach Bundesland zwischen 1:3 bis 1:15. Die Empfehlungen von Expertinnen und Experten sowie wissenschaftlichen Untersuchungen liegen hingegen bei einem Schlüssel von 1:3 bis maximal 1:8.
Einheitliche Ausbildung für Assistenzkräfte
Im Unterschied zu den Pädagoginnen und Pädagogen ist die Berufsbildung für Assistenzkräfte in elementarpädagogischen Einrichtungen nicht einheitlich geregelt. In manchen Bundesländern reicht eine rudimentäre Ausbildung, in manchen ist nicht einmal das vorgesehen. „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“ plädiert für eine bundesweit einheitliche Ausbildungsverpflichtung, damit Assistenzkräfte die Pädagoginnen und Pädagogen u.a. für die individuelle Sprachförderung der Kinder freispielen bzw. sie dabei bestmöglich unterstützen können.
Maßnahmen gegen den Personalnotstand
Die Gründe für die aktuell herrschende Personalknappheit im elementarpädagogischen Bereich sind mannigfaltig. Ein unmittelbarer Vergleich mit der Volksschule macht jedoch deutlich, warum es für viele Absolventinnen und Absolventen einer Bundesanstalt für Elementarpädagogik (BAFEP) attraktiver ist, mit einem Studium fortzufahren, als den eben erlernten Beruf zu ergreifen. Nicht nur die Gehälter der Volksschulpädagoginnen und -pädagogen sind höher und ihre tägliche Arbeitszeit geringer, ihnen steht auch weitaus mehr Freizeit übers Jahr gesehen zur Verfügung. Dazu kommen noch ein vergleichsweise geringes Sozialprestige elementarpädagogischer Berufe und häufig unstete Arbeitsverhältnisse gerade am Beginn der Berufslaufbahn. Hier wäre aus Sicht der Trägerinitiative ein breites Handlungsfeld für den Beirat Elementarpädagogik gegeben, der sich für die Entlastung des pädagogischen Personals durch verbesserte strukturelle Standards, für die Reduktion bürokratischer Tätigkeiten zugunsten mehr Zeit für die Arbeit mit den Kindern sowie für fachliche Begleitung im Berufsalltag (multidisziplinäre Super- und Intervision) einsetzen müsse.
Erreichung der Barcelona-Ziele vorantreiben
Österreich gibt mit 0,6 Prozent des BIP rund ein Viertel weniger für Elementarbildung aus als der Durchschnitt der OECD-Staaten (0,8 Prozent). Die Spitzenreiter sind die bildungspolitischen Musterländer Schweden und Norwegen mit jeweils zwei Prozent. Auch bei der Erfüllung der so genannten Barcelona-Ziele hinkt Österreich hinterher. Die von der EU für 2010 angestrebte Betreuungsquote von mindestens 33 Prozent bei den unter Dreijährigen wurde bei der letzten Erhebung im Jahr 2019/20 mit 27,6 Prozent (71.802 von 260.446 Kindern) noch immer verfehlt.
„Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“
BÖE (Bundesverband Österreichischer Elternverwalteter Kindergruppen), Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Kinderfreunde, St. Nikolausstiftung und Volkshilfe haben sich unter dem Namen „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“ zusammengeschlossen, um Anliegen und Positionen im Bereich der Elementarpädagogik gemeinsam zu vertreten. Als bundesweit bzw. länderübergreifend tätige, gemeinnützige Träger privater Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen ist es das Ziel, praktisches Know-how und fachliche Inputs gezielt einzubringen. Die wichtigsten Anliegen sind: Fachkräftemangel, nachhaltige Verbesserung der pädagogischen Qualität, die Gestaltung österreichweiter, den wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasster Rahmenbedingungen sowie die Durchforstung des Förderdschungels.