Einsamkeit ist eine ernsthafte Bedrohung für die psychische und körperliche Gesundheit und ist ein starker Auslöser für langzeitigen Stress. Rund 600.000 der Menschen in Österreich fühlen sich laut einer aktuellen Studie der Caritas mehr als die Hälfte ihrer Zeit einsam. Betroffen sind besonders ältere, junge und armutsgefährdete Menschen. Gerade in den Sommermonaten kann das Gefühl von Einsamkeit verstärkt werden. Bekannte, Familie oder gewohnte AnsprechpartnerInnen sind im Urlaub und Betroffene bleiben oft allein zurück. Auch der strukturgebende Halt von Schulen, Universitäten, KollegInnen oder Entlastungsangeboten entfällt.
Dass soziale Isolation gesundheitsgefährdend ist, hat kürzlich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont. Demnach sind Menschen ohne starke soziale Kontakte einem höheren Risiko von Schlaganfällen, Angststörungen, Demenz, Depressionen und Suizid ausgesetzt. Die Auswirkungen auf die Sterblichkeit sei laut WHO vergleichbar mit denen anderer bekannter Risikofaktoren wie Rauchen, Adipositas oder körperlicher Inaktivität.
Um das Thema Einsamkeit und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit zu beleuchten und gemeinsam gegen die psychosozialen und gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit vorzugehen, lud der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) in einem mit Caritas Österreich, Diakonie Österreich, Österreichisches Rotes Kreuz, pro mente Austria, Hilfswerk Österreich, Armutskonferenz, Österreichische Krebshilfe sowie der Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen am 4. September 2024 zu einer Pressekonferenz.
Alle teilnehmenden Organisationen fordern eine verstärkte Zusammenarbeit und gezielte Maßnahmen, die in einem 10-Punkte-Forderungskatalog zusammengefasst wurden. Enttabuisierung und Sensibilisierung seien hier genauso von Bedeutung wie mehr Mittel für die Community-Arbeit in der Pflege und mehr Unterstützung für Menschen mit chronischen und schweren Erkrankungen. Es brauche mehr niederschwellige und kostenfreie Angebote, soziale Vernetzung, einen kostenfreien Zugang zu psychologischer Versorgung und vor allem ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung wirksam zu begegnen.
Der 10-Punkte-Forderungskatalog gegen Einsamkeit
1. Ende der Tabuisierung und Stigmatisierung von Einsamkeit
Einsamkeit ist bei vielen Personen mit Gefühlen der Scham verbunden, da bisher kein breiter gesellschaftlicher Diskurs und damit keine Sensibilisierung zur Bedeutung von Einsamkeit stattgefunden hat. Deswegen ist hier notwendig, Einsamkeit in der Öffentlichkeit „besprechbar“ zu machen: durch Vernetzung und Informationsaustausch von Berufsgruppen, Verbänden, Schulen, Betroffenenverbänden, Behörden und Hilfsorganisationen. Zusätzlich braucht es breite Informationskampagnen für die Öffentlichkeit sowie Entstigmatisierung bei den Betroffenen durch Aktionen und Aufrufe zu gemeinsamen Aktivitäten.
2. Nationaler Aktionsplan
Viele AkteurInnen sind auf unterschiedlichen Ebenen zum Thema Einsamkeit bzw. gesellschaftlicher Zusammenhalt aktiv. Um die Öffentlichkeit dementsprechend zu sensibilisieren, das Wissen und die Praxis zu stärken und Angebote koordiniert auszubauen sowie bereichsübergreifend zu agieren, braucht es ein klares Bekenntnis der Bunderegierung, dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung wirksam zu begegnen. Eine ministeriumsübergreifende Strategie gegen Einsamkeit in Form eines Nationalen Aktionsplans schafft die Grundlage, Anknüpfungspunkte der verschiedenen zuständigen Ressorts (Gesundheit, Verkehr/Stadtplanung/Wohnungsbau, Soziales/Armut, Bildung, pflege, Freiwilligenarbeit, etc.) interdisziplinär gemeinsam zu bearbeiten.
3. Etablierung einer Koordinationsstelle gegen Einsamkeit
Um die Ziele des Nationalen Aktionsplans zu erreichen, ist die Einrichtung einer nationalen Koordinationsstelle erforderlich, um Einsamkeit vorzubeugen und zu bekämpfen und die Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans konsequent umzusetzen. Auch werden hier Konzepte und Strukturen, bestehenden Kooperationen, Angebote und Wissensbestände wie auch Best-Practice Beispiele aus anderen Ländern zu diesem zukunftsrelevanten Thema gebündelt
4. Bezifferung der volkswirtschaftlichen Kosten von Einsamkeit und Finanzierung evidenzbasierter Forschung
Die Datengrundlage politischer und fachlicher Entscheidungen zur Vorbeugung und Linderung von Einsamkeit muss dringend verbessert werden und kann eine wichtige Grundlage für weiterführende Maßnahmen liefern. Weitere Maßnahmen können sich aus der Einsamkeits-Forschung ableiten, insbesondere die Untersuchung der Frage, welche Initiativen sich im Kampf gegen Einsamkeit als besonders wirksam erweisen bzw. wie erfolgreich vorgebeugt werden kann.
5. Ausbau der kostenfreien, psychologischen Versorgung
Einsamkeit macht psychisch krank und ist Auslöser für hohen chronischen Stress. Einsame Menschen sind Angststörungen, Demenz, Depressionen und Suizid ausgesetzt. Hier sind aktivierende mobile Angebote mit mobiler psychosozialer Betreuung notwendig. Anlaufstellen können hier Primärversorgungszentren, Ausbau des Social Prescribings, psychosoziale Beratungsstellen, sowie der kostenfreie Zugang zu psychologischer Versorgung sein.
6. Recht auf barrierefreie und mehrsprachige Angebote
Zugänge zur Förderprogrammen müssen alters-, geschlechtsunabhängiger und diskriminierungssensibler gestaltet sein und ausgebaut werden. Dabei sollte auf eine partizipative sowie altersspezifische und diskriminierungssensible Ansprache und Ausgestaltung geachtet werden. Zudem sollten die Angebote barrierefrei zugänglich sein.
7. Fokus auf besonders vulnerable Gruppen
Von Einsamkeit betroffene Personen haben eine schlechtere physische und psychische Gesundheit als Personen, die nicht betroffen sind. Dazu zählen Jugendliche und ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und /oder Fluchterfahrung, armutsgefährdete Menschen, Alleinerziehende und Menschen mit chronischen oder schweren Erkrankungen. Hier wird von einem wechselseitigen Zusammenhang ausgegangen: Einsamkeit macht krank, aber Krankheit macht auch einsam. Wir fordern daher eine Berücksichtigung in Angeboten und Maßnahmen dieser besonders vulnerablen Gruppen.
8. Appell an soziales Miteinander - Unterstützung von sozialer Teilhabe und Selbstermächtigung
Projekte für die Betroffenen, um sie in ihren unmittelbaren Lebensräumen zu unterstützen und deren Situation nachhaltig positiv zu verändern müssen verstärkt gefördert werden. Diese Projekte bspw. in den Städten und Gemeinden eröffnen Räume für gemeinsame Aktivitäten und die Chance, sich gegenseitig zu akzeptieren, wertzuschätzen und kennenzulernen. Gesellschaftliche Teilhabe ist ein wichtiger Faktor, der vor Einsamkeit schützt. Darunter fallen auch Aktivitäten wie Sport, freiwilliges Engagement, der Besuch kultureller Veranstaltungen oder künstlerische und musische Tätigkeiten ebenso wie der Ausbau von Netzwerken, caring communities und Buddy-Systemen.
9. Schaffen einer Kultur des neuen Miteinanders
Soziale Orte für Austausch, Begegnung und Engagement und institutionenübergreifende Aktionen und Kampagnen, die leicht, barrierefrei und für alle zugänglich sind, müssen gefördert und ausgebaut werden. So kann durch Verständnis und Abbau von Schwellenängsten das Bewusstsein für die Kultur eines neuen Miteinanders geschaffen werden.
10. Recht auf analoge Angebote
Die digitale Welt kann und soll keine persönlichen, analogen Kontakte ersetzen. Deswegen fordern wir ein Recht auf Angebote im analogen Raum. Beispielsweise ist es für ältere Menschen oft schwer, die Hürden der digitalen Anforderungen zu bewältigen. Hier ist eine (Ein)Schulung und mehr barrierefreie digitale Angebote wünschenswert. Starke soziale Bindungen und soziale Kontakte im analogen Raum bilden hier einen zusätzlichen Schutzfaktor gegen Einsamkeit.
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich: „Einsamkeit kann es in jeder Lebensphase geben. Allerdings steigt im Alter das Risiko für soziale Isolation, insbesondere ab etwa 80 Jahren, ganz erheblich. Partner oder Freunde versterben, soziale Aktivitäten werden wegen körperlicher Einschränkungen schwieriger. Und die Folgen sind verheerend. Eine Studie aus den USA und Frankreich zeigt auf, dass Einsamkeit mit einem 40 Prozent höheren Risiko verbunden ist, an Alzheimer zu erkranken sowie Befunde zur Wechselwirkung von Einsamkeit und Altersdepression. Einsamkeit im Alter macht krank, senkt das Selbsthilfepotenzial und fördert Pflegebedürftigkeit. Einsamkeit im Alter bringt Unglück hervor. Es ist zumeist ein stilles Unglück, ein Unglück im Verborgenen. Wir fordern daher mehr Aufmerksamkeit für das Problem und eine neue Kultur des Miteinanders über die Generationen hinweg. Es braucht jedoch auch konkrete Maßnahmen, wie etwa den Ausbau niederschwelliger Angebote wie Besuchs- und Begleitdienste, Heimhilfe und Alltagsbegleitung, Hol- und Bringdienste, lokale Angebote wie Nachbarschaftszentren und Tageszentren, mobile und stationäre psychosoziale Begleitung für Betroffene und pflegende Angehörige.“
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