Am Sonntag, den 14. Februar, präsentierte das Sozialministerium den von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) verfassten Bericht der im Vorjahr eingesetzten Taskforce Pflege. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), der Zusammenschluss Österreichs großer Sozialorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe zollt dem umfangreichen Kompendium Anerkennung als konstruktive und breite Ergebnissammlung des mehrstufigen Beteiligungsprozesses im Vorfeld, an dem sich zahlreiche Experten/Expertinnen und Stakeholder des Pflegesektors beteiligt haben. Viele der Vorschläge werden positiv bewertet, manches wird kritisch gesehen. Vor allem aber weist man auf die ausständige politische Entscheidungsfindung hin.
„Das wesentliche Verdienst des vorliegenden Berichts ist es einerseits, die Komplexität der Reformaufgabe vor Augen zu führen, und andererseits, eine Fülle konstruktiver möglicher Ansatzpunkte dafür aufzuzeigen“, meint Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich und derzeit Vorsitzende der BAG. „Nun gilt es, die Agenda politisch zu bewerten, in ein abgestimmtes Reformprogramm zu gießen und einer effektiven Umsetzung zuzuführen“, meint Anselm. Die notwendigen politischen Entscheidungen stehen laut BAG noch aus. Die Zeit drängt jedoch – insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen im Bereich des Personals, aber auch mit Blick auf die Situation der Betroffenen und Angehörigen.
Pflege muss „zu den Menschen kommen“, mobile Dienste müssen ausgebaut werden!
„Um auch in Zukunft zuhause alt werden zu können, muss die Pflege, wo immer möglich, zu den Menschen kommen. Der im Bericht der Taskforce geforderte Ausbau der mobilen Pflege und Betreuung ist daher ein wichtiger und notwendiger Schritt. Es braucht verstärkt Angebote, die die Betreuung in der gewohnten Umgebung möglich machen. Dazu ist es auch wichtig, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu stärken und pflegende Angehörige mit niederschwelligen, leistbaren und flexiblen Betreuungsangeboten zu entlasten“, sagt Michael Opriesnig, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes.
Konkrete Maßnahmen gegen Einsamkeit mit Caring Communities und Freiwilligenstrukturen
Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich sieht positiv, dass sich ein eigenes Kapitel des Berichts den notwendigen Maßnahmen gegen die steigende Einsamkeit widmet: „Schon vor der Krise war Einsamkeit eine Zivilisationskrankheit. Die Förderung des freiwilligen Engagements durch Koordinatoren sowie der Ausbau der Freiwilligenstruktur inklusive entsprechender Finanzierung sind daher wichtige Eckpfeiler. Wir freuen uns, dass auch die Empfehlung aus dem ‚Pakt gegen die Einsamkeit‘ der Caritas, einen Regierungsbeauftragten für das Thema einzusetzen, zur Umsetzung kommt. Die Erfahrung zeigt uns, dass Einsamkeit alle Altersgruppen betrifft. Daher wünschen wir uns, dass die Maßnahmen nicht nur auf ältere Menschen fokussieren, sondern beispielsweise mit steigender Umsetzung von Caring Communities, alle Menschen erreicht werden.“
Aktive Arbeitsmarktpolitik zur Schließung der Personallücke und Nutzung der Jobchancen
Der Bericht sei eine gute Grundlage für die dringend notwendige Pflegereform, meint Direktor der Volkshilfe Österreich Erich Fenninger. Jetzt brauche es einen konkreten Umsetzungs- und Maßnahmenplan, der auch mit Investitionszahlen zu versehen sei. „Die Herausforderungen liegen auf dem Tisch. Um den Personalbedarf der Zukunft zu decken, brauchen wir einen großen Wurf. Das bedeutet eine stetige Verbesserung der Arbeitsbedingungen, aber vor allem eine aktive Arbeitsmarktpolitik, damit Um- und Wiedereinsteiger/innen eine Ausbildung für den Pflege- und Betreuungsbereich finanziell ermöglicht wird. Die Ideen liegen auf dem Tisch, wir müssen in die Umsetzung kommen, um die enormen Jobchancen in diesem Bereich zu nutzen“, fordert Fenninger.
Entlastung pflegender Angehöriger, effektivere und sozialraumorientierte Unterstützung
Vier von fünf der 455.000 Pflegegeld-Beziehenden werden zu Hause versorgt, und weniger als die Hälfte der pflegenden Angehörigen erhalten Unterstützung von sogenannten „formellen“ Diensten. „Pflegende Angehörige sind eine wesentliche Säule, die unser Pflegesystem trägt. Sie brauchen dringend Unterstützung, zumal mehr als die Hälfte davon bereits selbst über 60 Jahre alt ist“, betont Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser. „Auf der einen Seite müssen neue passende Betreuungsangebote geschaffen, sowie sozialraumorientierte Dienste und Tageszentren ausgebaut werden. Nur dann können Menschen, die zu Hause leben möchten, auch gut zu Hause leben. Und auf der anderen Seite sind neue Wohnformen gefragt, wie wir sie in der Diakonie entwickeln“, so Moser.
„Aufblähung der Pflegebürokratie“ hilft Betroffenen und Angehörigen nicht weiter!
Sorgen bereiten den Vertretern/Vertreterinnen der BAG jene Vorschläge im Bericht, die auf eine Tendenz zur Aufblähung der Verwaltung rund um die Pflege und Betreuung schließen lassen. Die Vorschläge zu Case Management, Pflege-Lotsen und Community Nurses seien sicher mit guter Absicht formuliert worden, aber man müsse dringend darauf achten, dass man hier nicht auf falsche Wege gerate, meint die BAG. Es müsse in jedem Falle um die Etablierung nutzenstiftender Dienstleistungen und Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige gehen, keinesfalls aber um die Schaffung von Parallelstrukturen, die wertvolles Fachpersonal abziehen und den bürokratischen Aufwand erhöhen. „Jede weitere Schnittstelle bringt mehr Abstimmungsbedarf, mehr Dokumentationsbedarf – und damit ein Mehr an Tätigkeiten, die die Pflege von den Betroffenen und Angehörigen entfernen, und überdies unsere Fachkräfte zermürben und frustrieren. Die verfügbaren Ressourcen müssen im Sinne der Effizienz und des Nutzens für die Betroffenen direkt in die Dienste am Menschen investiert werden“, erläutert Elisabeth Anselm abschließend.