„Die Nationalratswahl am vergangenen Wochenende sorgte für Umwälzungen in der Parteienlandschaft, die man gerade vor dem Hintergrund einer ins Stocken geratenen bildungspolitischen Reformdiskussion auch als Chance begreifen muss“, meint Othmar Karas, Präsident des Hilfswerk Österreich. „Die scheidende Bundesregierung hat mit der Verlängerung der 15a-Vereinbarung zum Ausbau des institutionellen Kinderbetreuungsangebots für eine Atempause gesorgt, die wir für die Weiterentwicklung des Zukunftsthemas Bildung und Betreuung nutzen sollten. Die ideologische Verengung des Blickfelds muss von einer inhaltlichen Verbreiterung abgelöst werden. Wir fordern daher einen runden Tisch mit allen für ein erfolgreiches Bildungsgeschehen relevanten Akteuren. Neben Eltern, Pädagogen und Kindern sollten künftig auch jene zivilgesellschaftlichen Experten Gehör finden, die bereits jetzt zu einem funktionierenden Bildungs- und Betreuungsangebot ab dem Kleinkindalter einen wesentlichen Beitrag leisten.“
Bildung beginnt im Elementarbereich
Karas drängt darauf, die Elementarpädagogik als Schlüsselstelle für Bildungslaufbahnen zu begreifen und entsprechend strukturell und qualitativ aufzuwerten. „Bildung nimmt in der Krabbelgruppe ihren Anfang, deshalb sollten Bildungskonzepte nicht erst ab dem Eintritt in die Volksschule ansetzen“, fordert Karas, „nur so schaffen wir Chancen auf einen erfolgreichen Schulstart für jedes einzelne Kind“. Gerade in dieser aus Hilfswerksicht ersten, entscheidenden Bildungs-Phase lassen sich unterschiedliche Start-Voraussetzungen noch mit verhältnismäßig geringem Aufwand abfedern. Mit jedem ungenutzten Jahr wird es schwieriger, beispielsweise sprachliche Defizite zu beheben. Multiprofessionelle Kompetenz ist für alle institutionalisierten Lebensräume von Kindern ein Gebot der Stunde. Die zusätzlichen fachlichen Ressourcen durch Fachleute aus den Bereichen Psychologie, Sozialpädagogik oder Sozialarbeit zur Lösung von Problemen sollten Kinder und Jugendliche als selbstverständliche Hilfestellung ein Bildungsleben lang begleiten.
Soziale Arbeit an Schulen schafft Freiraum für Lernen
Diese sozialpädagogischen und psychosozialen Aufgaben können allerdings nur bedingt von Lehrerinnen und Lehrern wahrgenommen werden, deren Fokus auf der Vermittlung von Fähigkeiten und Wissen liegt und deren zeitliche Ressourcen ohnedies beschränkt sind. „Lehrer/innen mit der Vielzahl an Problemen, die Kinder heutzutage in die Schule mitbringen, im Stich zu lassen, ist sowohl aus bildungspolitischer als auch gesellschaftspolitischer Sicht unverantwortlich“, betont Karas. „Sozialpädagogische und soziale Arbeit an Schulen ist keine Folklore von Sozialromantikern, sondern schafft Voraussetzungen, damit Kinder in schwierigen Situationen wieder ins Lernen kommen – ganz gleich, ob es sich nun um kulturelle, soziale oder individuelle Probleme handelt. Durch sozialpädagogische und psychosoziale Angebote können Bildungseinrichtungen den gegenwärtigen Lebensrealitäten besser gerecht werden und in weiterer Folge ihrem Bildungsauftrag vollumfänglich nachkommen.“
Agilität als Organisationsprinzip hilft im Bildungsalltag vor Ort
Zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Hilfswerk sind seit vielen Jahren in der sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern sowie Jugendlichen tätig und besitzen umfassendes fachliches bzw. organisatorisches Know-how im Bereich der Kinderbetreuung. „Wir sehen die Zukunft in einer Dualität, die den klassischen Bildungsauftrag, aber auch die lebensnahe Begleitung von Kindern und Jugendlichen in den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen umfasst. Je mehr Elementarpädagogik und Schule zusammenwachsen, umso größer wird der Druck, die vorhandenen Strukturen aufzubrechen und für mehr Agilität am Ort des Bildungsgeschehens zu sorgen“, plädiert Karas für eine Schulautonomie, die nicht bei Verwaltungsthemen halt macht, sondern für mehr gestalterische Freiheit im Bildungsalltag sorgt. „Wir hoffen auf eine künftige Bundesregierung, die sich des Bildungsthemas rasch annimmt, den Stillstand überwindet und die strukturellen Voraussetzungen schafft, damit Österreich künftig eine ebenso lebendige wie zukunftsträchtige Bildungslandschaft vorzuweisen hat. Das sind wir unseren Kindern schuldig“, so Karas abschließend.