Der österreichische Gesetzgeber hat vor 15 Jahren die 24-Stunden-Betreuung in Österreich gesetzlich verankert und mit einer Förderung versehen. Heute nutzen rund 25.000 betreuungs- und pflegebedürftige Menschen in Österreich eine 24-Stunden-Betreuung. Sie sparen der Allgemeinheit viel Geld. Aber sie werden von der Politik im Stich gelassen. Die Förderung von 550 Euro pro Monat wurde seit ihrer Einführung vor 15 Jahren nicht angepasst und hat sich massiv entwertet! Die Betroffenen kommen für Kost und Logis sowie Fahrtkosten der Personenbetreuer:innen auf, ebenso für deren Honorare. Alles zusammen unterliegt der Inflation, erst recht angesichts der aktuellen, krisenbedingt massiven Teuerungswelle. Die betroffenen Haushalte sind übermäßig belastet, das System kommt finanziell an den Rand des Zusammenbruchs.
Aber die Politik lässt Betroffene und Angehörige sowie letztlich auch die Betreuer/innen nicht nur betreffend der Wertanpassung im Stich. Auch die Entwicklung des Systems im Sinne der besseren Absicherung von Fairness und Qualität steht still. Dabei verspricht das Regierungsprogramm diese Weiterentwicklung auf Basis des ÖQZ-24 (Österreichisches Qualitätszertifikat für Vermittlungs-agenturen in der 24-Stunden-Betreuung). Bis heute hat sich nichts getan! Das muss sich ändern! Eine breite Allianz von Organisationen fordert nun eine rasche und konsequente Anpassung des Fördermodells im Sinne der Absicherung und Weiterentwicklung der 24-Stunden-Betreuung in Österreich.
Mario Tasotti, Geschäftsführer einer zertifizierten Vermittlungsagentur, berichtet zur aktuellen Situation wie folgt: „Wir haben vor mehr als 10 Jahren unsere Vermittlungsagentur gegründet, weil wir in der eigenen Familie, bei unseren Großeltern, das erfahren haben, was viele Studien belegen: Nämlich, dass mehr als 80% unserer älteren Mitmenschen zuhause alt werden wollen und zuhause entsprechend versorgt werden wollen.“ Aktuell werden rund 25.000 Personen zuhause mit einer 24-Stunden-Betreuung versorgt, die Betreuungsform stellt damit eine relevante Säule in der österreichischen Betreuungslandschaft dar. Insbesondere während der Corona Pandemie hat sich die Dienstleistung auch unter widrigsten Bedingungen als zuverlässige und in Bezug auf das Infektionsrisiko sichere Betreuungsform erwiesen. Tasotti weiter: „Ich stehe heute hier auch repräsentativ für mittlerweile mehr als 40 Vermittlungsagenturen, die sich der Zertifizierung nach ÖQZ-24, dem Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen der Republik Österreich, gestellt haben. Gemeinsam betreuen wir bereits mehr als ein Drittel der von Vermittlungsagenturen servicierten Kundinnen und Kunden. Mit der Zertifizierung verfolgen wir das Ziel, unseren Kundinnen und Kunden und Personenbetreuer/innen faire und korrekte Bedingungen zu bieten, vor allem aber auch eine sichere Dienstleistung. In dieses Ziel haben wir viele Ressourcen investiert, unsere Prozesse weiterentwickelt und die Qualität unserer Dienstleistungen optimiert. Die aktuellen Preissteigerungen bringen unsere Kundinnen und Kunden an ihre finanziellen Grenzen. Es braucht dringend unmittelbare Lösungen.“
Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich, erläutert die Problematik der fehlenden Valorisierung der 2007 eingeführten Förderungen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung im Detail: „Die seitens der Bundesregierung gestern, 12. Mai 2022, angekündigte Wertanpassung ist dringend notwendig. Denn während die Lebenserhaltungskosten Jahr für Jahr stiegen, hat sich die Förderungen seit ihrer Einführung um insgesamt 23 Prozent entwertet. Diese Entwicklung wird aktuell durch eine massive Teuerungswelle weiter verstärkt. Dies setzt Klientinnen und Klienten in der 24-Stunden-Betreuung gegenwärtig finanziell enorm unter Druck. Eine Anpassung der Förderungen an das jetzige Preisniveau und eine regelmäßige Valorisierung der Pensionen sind dringend notwendig, damit Menschen weiterhin durch 24-Stunden-Betreuung zu Hause bleiben können. Das ist auch deshalb so wichtig, weil der Fachkräftemangel einen Wechsel in andere Versorgungsformen – wie in stationäre Pflege-Einrichtungen – verunmöglicht“, so Parr. Man brauche daher, alleine um den Wertverlust auszugleichen, eine Anhebung der Förderung von derzeit 550,- Euro auf 680,- Euro.
Johannes Wallner, Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen, ist mittels Auftrag seitens des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit Pflege und Konsumentenschutz für die Zertifizierung der Agenturen nach ÖQZ-24 verantwortlich. Zertifizierte Vermittlungsagenturen haben deutlich mehr als die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und sind mit dem ÖQZ-24 den Weg in eine entsprechende Qualität und Professionalisierung samt der damit verbundenen Kosten gegangen. Folgende Leistungen sind von zertifizierten Agenturen zu erbringen:
- Anamnese, Beratung, Bedarfserhebung und Planung durch die Fachpflege (DGKP)
- Einführung eines Qualitätsmanagementsystems samt Dokumentation
- Qualitätssicherung durch regelmäßige Hausbesuche der betreuenden DGKP – mindestens quartalsweise sowie darüber hinaus nach Bedarf
- Delegationen gemäß §3b GuKG bzw. §50b ÄrzteG (gesetzliche Grundlage)
- Ersatzstellung von Personenbetreuer:innen in definierter Frist von 3 Kalendertagen
- ordnungsgemäßer Notfallplan
- umfassend definierte Erreichbarkeit für Klient:innen und Personenbetreuer:innen
- Transparenz und Qualität der Verträge
- transparente Rahmenbedingungen und Informationen für Personenbetreuer:innen
- definierte Qualifikation und Kompetenzen von Personenbetreuer:innen
- muttersprachliche Ansprechperson für Personenbetreuer:innen in der Vermittlungsagentur
- Vermittlung im Falle von Klärungsbedarf oder Konflikten zwischen Klient:innen und Personenbetreuer:innen
„Gerade die Einbindung der Fachpflege hat zu einer deutlichen Qualitätsentwicklung und damit zu mehr Sicherheit für alle Beteiligten geführt. Diese positive Entwicklung dürfen wir jetzt nicht gefährden“, sagt Wallner.
Karin Hamminger, Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson, Geschäftsführerin der Agentur Pflegegruppe, Obfrau der ÖBAP (Österreichische Bundesinteressensgemeinschaft für Agenturen der Personenbetreuung) und Zertifiziererin im ÖQZ-24 führt dazu aus: „Die von Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften durchgeführte Qualitätssicherung in der 24-Stunden-Betreuung ist ein wesentliches Instrument zur Erhebung der Versorgungssituation. Sie ist auch ein Garant der fachlichen Kontrolle, der Aufsicht und stellt die erforderlichen pflegerischen und medizinischen Mindestanforderungen der Durchführung sicher. Einerseits schreiben uns das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz sowie das Ärztegesetz die Delegation pflegerischer und medizinischer Tätigkeiten an Laienpfleger:innen vor, andererseits stehen für diese qualitätssichernden Maßnahmen keine finanziellen Mitteln zur Verfügung. Eine Qualitätssicherung muss bei jeder pflege- und betreuungsdürftigen Person kontinuierlich erfolgen, denn sie unterliegt einem ständigen Prozess und stellt keinen einmaligen Vorgang dar. Nur so ist garantiert, dass Festgelegtes auch tatsächlich eingehalten wird – und zwar so wie angeordnet und auch zu jeder Zeit. Um dieser Verpflichtung in Zukunft nachkommen zu können, bedarf es einer Erweiterung der Förderung – die der Qualitätssicherung dient und für diese zweckgebunden ist.“ Dem Sozialministerium liege ein von Expertinnen und Experten erarbeiteter Vorschlag vor. „Als Vertreterin der Fachpflege verleihe ich dieser Forderung Nachdruck und ersuche im Namen aller Betreuungs- und Pflegebedürftigen die Bundesregierung um schnellstmögliche Umsetzung“, fordert Hamminger.
Bibiána Kudziová, Personenbetreuerin und Berufsgruppensprecherin für Personenbetreuer:innen, WKO Wien, fordert: „Ein Großteil von uns Personenbetreuerinnen und Personenbetreuern – in Österreich sind etwa 60.000 Betreuer/innen für rund 25.000 Klientinnen und Klienten tätig – lebt für einen Turnus von 14 Tagen bis zu einem Monat rund um die Uhr, eben 24 Stunden, bei ihren Klientinnen bzw. Klienten. Damit diese bewährte Form der Betreuung weiterhin sichergestellt ist, muss die monatliche Förderung signifikant erhöht und weiterentwickelt werden. Nur so können sich unsere Klientinnen und Klienten bzw. deren Familien die Bezahlung der Qualitätssicherung durch Diplomierte Pflegekräfte und fairer Honorare für Personenbetreuer/innen sowie weitere Kosten wie insbesondere die Fahrtkosten für uns Betreuer/innen leisten. Die Betreuer/innen leisten in Österreich wertvolle Arbeit und haben selbst in Pandemiezeiten unter Beweis gestellt, dass sie eine tragende Säule des österreichischen Versorgungssystems sind. Wir haben es verdient, dass sich Klientinnen und Klienten nicht nur Kost, Logis oder die stark steigenden Anfahrtskosten, sondern auch die Bezahlung fairer Honorare leisten können. Darüber hinaus stehen wir Personenbetreuer/innen voll und ganz hinter einer Förderung für die Qualitätssicherung, denn sie hilft uns, unsere Arbeit in einem guten und sicheren Rahmen zu leisten. Wenn es nicht in den nächsten Monaten zu einer namhaften Erhöhung der Förderung kommt, wird für viele unserer Klientinnen und Klienten die 24-Stunden-Betreuung nicht mehr leistbar sein. Gar nicht auszudenken, was das kurz- und mittelfristig für die Situation der Klientinnen und Klienten, ihrer Familien und der gesamten Gesellschaft bedeuten würde.“
Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger ergänzt dazu: „Pflegende Angehörige leisten seit vielen Jahren wichtige Arbeit im Pflegesystem Österreichs. Sie sind immer noch Österreich ‚größter Pflegedienst‘. Die derzeitige Situation stellt Angehörige nun aber auch existenziell vor schwierige Situationen. Die Gefahr, dass sie Dienstleistungen oder Pflegemittel, die teurer werden, nicht mehr zukaufen können, stellt eine Gefährdung ihrer Pflegearbeit dar. Wir warnen im allgemeinen Interesse davor, dass häusliche Pflege damit schwer beeinträchtigt würde. Fast 1 Million Menschen in Österreich sind pflegende Angehörige. Sie unterstützen damit das Pflegesystem Österreichs und entlasten das Sozialsystem. Nur gemeinsam mit der dringend notwendigen Unterstützung der professionellen Pflege und passender Betreuung können sie ihre pflegebedürftigen Angehörigen bestmöglich pflegen und betreuen. Pflege und Betreuung mit Qualität kann nur gelingen, wenn sie die Rahmenbedingungen erhält, die ALLE daran Beteiligten für ihre Tätigkeit dringend brauchen. Die Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger steht hinter den Forderungen der Pflege und Betreuung in Österreich.“
Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, stellt abschließend fest: „Wenn die Bundesregierung es mit der gestern, 12. Mai 2022, im Zuge der Präsentation des Pflegereform-Paketes angesprochenen Valorisierung ernst meint, dann muss es zu einer Erhöhung der Förderung von derzeit 550,- auf 680.- Euro kommen, um den realen Wertverlust abzudecken. Aber das wäre nur eine erste, dringende Notmaßnahme. Darüber hinaus müssen Maßnahmen gesetzt werden, um das System im Sinne von Qualität und Fairness weiter zu entwickeln. Das sieht auch das Regierungsprogramm vor und legt das ÖQZ-24 als Basis dafür fest. Daher brauchen wir ein neues Fördermodell. Wir schlagen vor, zusätzlich zur Valorisierung der Basisförderung ein Bonus-System zu etablieren, das an die Inanspruchnahme einer ÖQZ-24-zertfizierten Agentur geknüpft ist, die sowohl für faire und sichere Bedingungen für die Betroffenen und Angehörigen zu sorgen hat, als auch für die Betreuer/innen.“ Man sollte den Bonus auch an die Bezahlung eines Mindesthonorars knüpfen, meint Anselm. „Man könnte von einem Fairness-Bonus sprechen“, schlägt Anselm vor. Für die Absicherung und Leistbarkeit der Qualitätssicherung, d.h. insbesondere für die Arbeit der Fachpflege, könnte man mit einem Qualitäts-Bonus Spielraum für die Abdeckung der Kosten schaffen, meint Anselm.
Der budgetäre Mehraufwand für die Valorisierung läge bei insgesamt rund 37 Mio. Euro. Für einen Fairness-Bonus müsste laut Vertreter/innen der Allianz etwa 109 Mio. Euro ansetzen. Für die Übernahme anteiliger Kosten für Qualitätssicherung durch Diplomierte Pflegekräfte etwa 76 Mio. Euro. Die geschätzten Gesamtkosten belaufen sich auf 222 Mio. Euro. Aktuell wendet der Bund für die 24-Stunden-Betreuung 161 Mio. Euro aus. Der geforderte Betrag mag hoch erschein, relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass Alternativen wie etwa Pflegeheime jedenfalls kostenintensiver wären und darüber hinaus alle klassischen Settings in der Pflege durch einen eklatanten Personalbedarf gefordert sind.