Der Grundgedanke ist, dass unser Körper große innere Kräfte hat, die uns gesund halten oder sogar heilen können.
Selbstheilung? Die innere Kraft nutzen und gesund werden? Mit positivem Denken Krisen und sogar Krankheiten überwinden? Geht das? Ja, das geht.
Abseits von Esoterik und einem Trend zu alternativen Heilmethoden ist es wissenschaftlich erwiesen, dass der Körper enorme Selbstheilungskräfte besitzt – wenn Geist und Psyche mitspielen. Ausgeglichenheit, Balance, eine positive Einstellung und ein kraftgebendes soziales Umfeld können die Gesundheit stark beeinflussen. Genauso wie es Kummer, Leid, Einsamkeit und ein selbstzerstörerischer Lebensstil in die andere Richtung tun können.
Einblicke hat den namhaften Sozialwissenschaftler Dr. Franz Kolland zum Interview gebeten. Als Ko-Autor eines aktuellen Bestsellers hat er sich mit den sozialen und psychischen Aspekten von Heilungsprozessen beschäftigt (Buchtipp siehe nächste Seite). Hilfswerk Niederösterreich-Geschäftsführer Mag. Christoph Gleirscher sprach mit ihm über die Macht eines guten sozialen Netzwerks, über gesundes Altern und Pflegebedürftigkeit im Alter.
Herr Dr. Kolland, zuallererst die Frage: Wie ist Idee zu dem Buch entstanden bzw. sich überhaupt mit diesem Thema zu beschäftigen?
Die Grundidee zu dem Buch kam von der Ärzteseite. Der Kollege Dr. Rudolf Likar leitet eine große Intensivstation und hat immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich Totgesagte, also Menschen ohne Heilungschancen, ganz plötzlich wieder erholt haben. Zum Beispiel Krebspatienten, bei denen der Tod unmittelbar bevorstand, und bei denen es ganz überraschende Veränderungen gab. Nicht nur auf physischer, also körperlicher Ebene, sondern auch psychisch und sozial. Und hier komme ich als Sozialwissenschaftler ins Spiel, denn das hat mich wahnsinnig interessiert. Als Wissenschaftler war es uns ganz wichtig, uns aber von esoterischen und paramedizinischen Tendenzen abzusetzen und uns dem Thema von einer fachlichen Seite zu widmen.
Wovon gehen Sie in dem Buch aus, was ist der Grundgedanke?
Der Grundgedanke ist, dass unser Körper große innere Kräfte hat, die uns gesund halten oder sogar heilen können. Der Körper reagiert auf Veränderungen, auf Beschädigungen, und hat immer eine Antwort. Das bezeichnen wir als Selbstheilungskraft. Dass wir dies durch ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung, viel Schlaf und Entspannung positiv beeinflussen können ist hinlänglich bekannt. Aber auch der Geist, die Psyche haben eine große Wirkung, die man nicht leugnen kann. Wie wir in dem Buch sagen: „Der Geist kann einen Menschen, der fast tot ist, gesund machen oder einen gesunden Menschen töten.“
Das heißt, wir haben unsere Gesundheit selbst in der Hand? Richtig, es geht um Eigenverantwortung. Wenn ein Problem ansteht sollte man nicht einfach zum Arzt laufen, die Verantwortung abgeben und eine fertige Lösung erwarten. Gesundheit im Sinne von Heilung bedeutet, die eigenen Ressourcen zu aktivieren – und auch die Macht dcer Gedanken nicht zu unterschätzen. Und die Macht positiver Beziehungen und eines guten sozialen Netzwerks! Es gibt dazu – neben vielen anderen – ein sehr schönes Beispiel im Buch, in dem ein Todkranker die lang ausstehende Versöhnung mit seinem Vater vollzieht und sich daraufhin sein Gesundheitszustand komplett zum Besseren wendet.
Das heißt, wenn eine gute soziale Einbettung besteht, hat das entscheidende Auswirkungen auf den Heilungsprozess?
Mein Ansatz als Soziologe, auch im Buch, ist: Selbstheilungskräfte brauchen immer ein Du, ein Gegenüber, eine Rückkoppelung. Positive soziale Kontakte, harmonische Beziehungen zu Familie, Freunden, Nachbarn und so weiter, ein starkes soziales Netz: All das kann förderlich sein. Und auf der anderen Seite sind kaputte Beziehungen und Einsamkeit schlecht. In einer toxischen Umgebung kannst du nicht gesund werden. Genauso wenig wie wenn du ganz alleine bist. Es ist erwiesen: Gesund zu sein und niemanden zu haben führt – bis zu einem gewissen Grad – zu mehr Stress als krank, aber sozial gut eingebettet zu sein. Ein gutes soziales Netzwerk ist weniger stressbelastend als leichte körperliche Einschränkungen. Möglicherweise ist dies auf der körperlichen Ebene nicht gleich sichtbar, aber auf kognitiver Ebene sieht man es schnell: Ohne soziale Beziehungen geht kognitive Leistungsfähigkeit zurück.
Auch in der Pflege und Betreuung ist ja die Beziehung ein ganz wesentlicher Aspekt. Die Beziehung zwischen Pfleger/in und Gepflegtem, aber auch innerhalb der Familie.
Komplett alleinstehende Menschen kann man schwieriger zuhause betreuen als wenn es ein Netz in irgendeiner Form gibt. Ich sage immer: Ich kann auf meinem Sofa sehr glücklich sein, aber nicht lange. Das heißt, man braucht Herausforderung, Stimulation, soziale Einbindung. Wenn ein Mensch zum Beispiel nach einem Sturz oder bei einer schweren Krankheit zuhause gepflegt wird, eingebettet in eine Familie, so ist er hier in der Regel wesentlich besser aufgehoben als in einem Pflegeheim. Das Mentale mit einzubeziehen heißt aber auch: Die Situation anzunehmen wie sie ist.
Damit meinen Sie auch die Situation, pflegebedürftig zu sein?
Wir haben da heutzutage ein bisschen ein falsches Verständnis: Wir wollen gesund sterben. Also quasi „Umgefallen und gestorben“. Das halte ich für falsch, denn das entspricht nur einem Teil der Menschen und ist nicht die Regel. Vielmehr werden wir mit dem Alter pflegebedürftig, haben funktionale Veränderungen und diverse Beschwerden. Das gehört eben zum Menschen dazu, ist Teil unseres Selbst. Wer gelernt hat, das anzunehmen und damit zu leben, dem geht es besser.
Gibt es Konzepte, wie Politik und Gesellschaft positiv auf diese Selbstheilungskräfte einwirken können?
Die gibt es, denn die Gesellschaft hat hier durchaus Verantwortung und muss eine Umgebung schaffen, die die Bedürfnislage (älterer) Menschen nach sozialem Kontakt berücksichtigt. Wie etwa das Konzept des „social prescribing“:dies kommt aus der Medizin und sieht vor, dass man nicht nur Medikamente, sondern genauso gut soziale Kontakte „verschreiben“ kann. Zum Beispiel Freiwilligentätigkeit. Da läuft gerade ein Projekt in 50 österreichischen Ordinationen.
Eine letzte Frage: Wann haben Sie eigentlich begonnen, sich mit Alter zu beschäftigen?
Ich hatte als junger Mensch das Glück, einen der bedeutendsten Sozialwissenschaftler unserer Zeit als Lehrer zu finden. Dieser hat sich mit Altersforschung beschäftigt, und meine ersten Forschungsarbeiten beinhalteten Interviews mit alten Menschen. Das war grandios, ihre Erzählungen haben mich stark beeindruckt und in meiner Arbeit geprägt. Bis heute finde ich es faszinierend, unterschiedliche Sichtweisen von Generationen kennen zu lernen. In einer meiner Vorlesungen habe ich kürzlich junge Menschen gefragt, was „Alter“ für sie bedeutet. Sie assoziierten es mit „starrsinnig, unflexibel“, und das hat mich sehr überrascht. Ich habe solche Erfahrungen nicht gemacht. Ja, bei manchen technischen Neuerungen und Spielereien machen ältere Menschen nicht mit. Aber wozu auch? Es müssen mehrere Kulturen nebeneinander möglich sein und nicht alle alles mitmachen. Und wenn ein älterer Mensch Tik Tok als Schwachsinn empfindet, dann soll er das bitte sagen dürfen. Ich sehe das eher als Weisheit, nicht als Starrsinn.
Danke für das Gespräch, Herr Prof. Kolland.
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